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Hans Filbinger: Im Schatten seiner selbst

Er war Marinerichter im "Dritten Reich" und Ministerpräsident Baden-Württembergs in der Bundesrepublik. Er hat Todesurteile gefällt, aber Unrecht wollte er darin nie sehen. Hermann Rudolph zum Tode von Hans Filbinger

Berlin - In der langen Affäre der deutschen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit steht er für die vielleicht spektakulärste Zuspitzung. Sie begann 1978, als Rolf Hochhuth den damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger mit dem Wort vom "furchtbaren Juristen" brandmarkte. Das wurde seither zum geflügelten Wort, aber es verband sich auch mit einem der heftigsten moralisch-politischen Konflikte der alten Bundesrepublik. Denn so wie die politisch aufgeklärte Öffentlichkeit den Stab über den langjährigen erfolgreichen CDU-Politiker brach, der er damals war, so entschieden beharrte er darauf, unschuldig und Opfer einer Rufmordkampagne gewesen zu sein.

Seine konservativen Freunde haben ihn darin gestützt. Bis zum Ende seines Lebens, das den 93-Jährigen am Sonntag ereilte, hat sich an dieser Frontstellung nichts geändert.

Die Totschlags-Vokabel hatte es allerdings auch mit realen Tötungen zu tun: Hans Filbinger war zu Ende des Krieges Marinerichter und an verschiedenen Todesurteilen beteiligt; die Hinrichtung des 22-jährigen Matrosen Walter Gröger noch im März 1945, von Filbinger selbst beaufsichtigt, blieb der gravierendste, die Öffentlichkeit erregende Fall. Er selbst verteidigte sich mit Weisungsgebundenheit, führte auch Fälle an, in denen er Todesurteile verhindert hatte. Aber fast ebenso wie seine Verstrickung in das dunkle Kapitel, das die extensiv tätige deutsche Militärjustiz darstellt, hat ihn seine Verteidigung belastet.

"Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein."

Ihr Kernsatz war die Formel: "Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein." Das Zitat bestritt er zwar, aber seine Erklärung, damit nur gemeint zu haben, dass ein nach gültigen Rechtsnormen ergangenes Urteilen nicht Unrecht sein könne, machte die Sache nicht besser.

Seine gewaltige Wirkung zog der Konflikt zum einen aus Filbingers sagenhafter, selbstherrlicher Hartnäckigkeit, mit der er sein Handeln und seine Haltung rechtfertigte. Sein, wie Erhard Eppler es nannte, "pathologisch gutes Gewissen" brachte vor allem die kritische Öffentlichkeit gegen ihn auf. Am Ende wurde der Sturm der Entrüstung so allgemein, dass auch seine Partei nicht mehr an ihm festhielt; im August 1978 trat er vom Amt des Ministerpräsidenten zurück. Zum anderen aber kumulierten in Filbingers Fall auch grundsätzlichere Konfliktlagen: solche der Generationen wie der Verwerfungen, die seit den 60er Jahren im Bewusstsein der Bundesrepublik aufgebrochen waren.

Filbinger, Jahrgang 1913, hatte bereits vor dem Krieg seine juristische Laufbahn begonnen. Selbst kein Nazi, sondern katholisch-konservativ beeinflusst, hielt er daran fest, dass er und seine Generationsgenossen zwar verstrickt in das "Dritte Reich" waren, aber im Kern doch unberührt davon geblieben seien. "Die geschmähte Generation" nannte er seine 1987 veröffentlichte Lebensbilanz und untermauerte damit seine Überzeugung, dass sein Leben im "Dritten Reich" ihn nicht mit der Verantwortung für dessen Untaten belastet habe. Damit stand er aber gegen den Mainstream der öffentlichen Meinung in der Bundesrepublik, die diese Vergangenheit inzwischen angenommen hatte und die Verweigerung der Mitverantwortung als Provokation erlebte.

Scharf nach rechts

Zur Angreifbarkeit Filbingers gehörte allerdings auch, dass er als Politiker Mitte der 70er Jahre das Ruder mit der Wahlslogan "Freiheit statt Sozialismus" scharf ins Rechts-Konservative legte, gegen die 68er Nachwehen ebenso wie gegen SPD und sozialliberale Koalition. In der verschärften Konfrontation errang er 1976 in Baden-Württemberg mit über 56 Prozent der Wählerstimmen eine absolute Mehrheit. Allerdings ist es fraglich, ob er dieses bis dahin von der Südwest-CDU noch nicht - und auch später nie wieder - erreichte Ergebnis wirklich dieser Radikalisierung verdankte.

Denn Filbinger war, seitdem er Ende der 50er Jahre aus dem Freiburger Stadtrat in die Stuttgarter Regierung aufgestiegen war, auch ein erfolgreicher Landespolitiker. Auf sein Konto - und das der mitregierenden SPD - kamen viele der administrativ-politischen Modernisierungen am Südweststaat: Verwaltungsreform, Abschaffung der Konfessionsschule, Landesplanung. Ihm bescherte es, spätestens seit der ersten Alleinregierung der CDU 1972, die Aura des Landesvaters. Man kann in der Tat also eine gewisse Tragik darin sehen, dass die Verdienste, die er sich als pragmatischer Innenpolitiker um Baden-Württemberg erworben hat, von den späteren Auseinandersetzungen überschattet, ja, fast verdeckt werden.

Zunehmend selbstgerecht

Aber schuldlos war er daran wahrhaftig nicht. Denn seine Erfolge stiegen dem hocherfahrenen Mann zu Kopf und machten ihn zunehmend selbstgerechter. Als ihn die Todesurteile vom Kriegsende einholten und er sich rechthaberisch in die Auseinandersetzung mit einer publizistischen Öffentlichkeit verstrickte, die auch schon auf dem Kriegspfad war, hatte er schon den Halt in den eigenen Reihen verloren. Sein Rücktritt quittierte auch sein persönliches Abheben und den Unterstützungsverlust in der Partei. Dass Parteigänger, aber auch Parteifreunde in immer neuen Anläufen seine Rehabilitierung betrieben, änderte nichts an der Isolierung, in die er danach geriet.

Denn auch der kulturkämpferisch aufgeladene Konservatismus, den Filbinger dann bald 20 Jahre lang als Präsident seines Studienzentrums Weikersheim zelebrierte, entsprach bestenfalls am Rande der Mentalität der Volkspartei CDU.Durch lebenslanges professionelles Bergsteigen gestählt, konnte man den rüstigen Filbinger noch in hohem Alter am Rande von CDU-Parteitagen sehen: eine Erscheinung aus längst vergangenen Tagen. (Von Hermann Rudolph)

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