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Politik: Harmonisch im Duett

Der Kanzler und sein Vize werben erstmals vereint um Wähler

Von Robert Birnbaum

Der eine dröhnt wie ein rostiges Reibeisen, aber der andere noch viel mehr. Derart gleichgestimmt hat man den Kanzler und seinen Außenminister noch nicht gehört wie an diesem Sonntag auf dem Pariser Platz. Aber das ist ja auch der Sinn dieses Auftritts: Gerhard Schröder und Joschka Fischer auf einer Tribüne. Nie haben die Spitzenleute einer Koalition gemeinsam Wahlkampf gemacht. Die Idee stammte ja auch von einem Nicht-Politiker, von BAP-Kölschrocker Wolfgang Niedecken. Bis vor kurzem wäre daraus wohl ein eher peinlicher Event geworden. Doch jetzt, wo die Umfragen Rot-Grün wieder möglich erscheinen lassen, klingt das Duett der rauen Töne höchst harmonisch.

Das mit den rauen Tönen stimmt übrigens allumfassend. Was damit zusammenhängen mag, dass die angeblich 20 000 Zuhörer am Brandenburger Tor nicht das typische Parteiveranstaltungspublikum sind, sondern im Schnitt deutlich jünger. So legen sich Schröder wie Fischer wenig Zügel an, wenn es gegen den politischen Gegner geht. „Die wollen zurück in die Vergangenheit“, dröhnt Schröder. Wer Edmund Stoiber zum Kanzler wähle, bekomme „eine Politik von Kohl, nur ohne Kohl“, ätzt Fischer. Im Wahlkampf-Schlussspurt ist nur noch Platz für Holzschnittartiges. Für oder gegen Irak-Krieg, für oder gegen Atomkraft – „für mich als Atomkraftkritiker und Bürger“, sagt Bürger Fischer, wäre das Wahlgrund genug. Schröder betrachtet versonnen von der Seite den Ober-Grünen. „Ich möchte nicht Kanzler werden, aber vier weitere Jahre unter Gerhard Schröder Außenminister bleiben“, sagt der. Auch der Kanzler hat Treue gelobt. „Mit diesem Außenminister und mit keinem anderen“ wolle er weiter regieren.

Wie viel bleibt von diesem Rütli-Schwur, von der jetzt viel beschworenen „Einheit von Ökologie und Ökonomie“ nach dem 22. September? Der falsche Ort für solche Fragen. Aber so wütend gegen die FDP zu Felde gezogen wie Fischer ist Schröder jedenfalls nicht. Der Kanzler hat wohl gehört, dass FDP-Chef Guido Westerwelle ihm neuerdings Avancen macht. Dass Schröder darauf ohne Not eingeht, glaubt im rot-grünen Lager eigentlich niemand. Dass er aber eine Wahlmöglichkeit zwischen zwei Partnern nutzen würde, um den Grünen in Koalitionsverhandlungen eine ganze Reihe bitterer Zugeständnisse abzuzwingen – das trauen Grünen-Politiker dem SPD-Chef zu. Falls es denn überhaupt so weit kommt, dass man miteinander verhandeln kann. „Keine falsche Siegeszuversicht vor nächsten Sonntag 18 Uhr“, warnt Fischer. „Nichts ist entschieden“, mahnt Schröder. Nur im Vorprogramm darf die Band „Sofaplanet“ singen: „Nichts und niemand hält uns jetzt noch auf.“

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