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Politik: Hartnäckige Polen

Die Warschauer Regierung will bei der Stimmverteilung nicht nachgeben – die Briten unterstützen das

Die italienische Präsidentschaft scheute keine Mühe. Bevor die Regierungskonferenz am Freitag in der großen Runde zu verhandeln begann, lud Ratspräsident Berlusconi die einzelnen Gipfelteilnehmer zu so genannten Beichtstuhlgesprächen, um auszuloten, wo mögliche Kompromisslinien im Streit um die EU-Verfassung verlaufen könnten. Heute soll dann ein neuer Kompromissvorschlag vorgelegt werden. Doch die Gräben erwiesen sich als so tief wie eh und je. Der polnische Ministerpräsident Leszek Miller zeigte sich unerbittlich. Sein Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz hatte bereits den Eindruck vermittelt, dass Polen die Entscheidung über die Verteilung der Macht in Europa zur nationalen Prestigefrage machen würde. Gleichzeitig aber versuchten sie zu vermeiden, als die Schuldigen am Scheitern der Regierungskonferenz zu gelten. „Ich denke, wir haben gute Gründe, von unseren deutschen Freunden mehr Flexibilität zu erwarten“, sagte der polnische Außenminister. „Wenn wir scheitern, wird das von uns allen verursacht, nicht nur von Polen.“

Der französische Staatspräsident Jacques Chirac hatte zuvor bekräftigt, Frankreich werde „kein degeneriertes Ergebnis akzeptieren“. Nach der Erweiterung sei es notwendig, eine Vision von einem Europa zu verwirklichen, das mehr sei als eine Freihandelszone. Man müsse zwar die Positionen von Spanien und Polen respektieren, aber „sie sind nicht kompatibel mit unserer Vision von Europa“.

Hauptstreitpunkt ist die Stimmenverteilung im Ministerrat. Im Vertrag von Nizza hatten Spanien und Polen einen Stimmenschlüssel ausgehandelt, der ihnen 27 Stimmen zubilligt, nur zwei weniger als Deutschland und Frankreich. Dies Verhältnis entspricht nicht dem Verhältnis der Einwohnerzahlen. Deshalb hat der Konvent ein System der doppelten Mehrheit vorgesehen, nach dem die Hälfte der Mitgliedstaaten und sechzig Prozent der Bevölkerung für eine Mehrheitsentscheidung nötig sind. Der spanische Regierungschef Aznar gab sich nun kompromissbereit. „Wir glauben, dass die Vereinbarung von Nizza das Beste für die EU ist. Wir sind aber bereit, auch andere Vorschläge zu akzeptieren.“ Bundesaußenminister Joschka Fischer betonte, die doppelte Mehrheit müsse erhalten bleiben. Er hält es für Millimeterarbeit, einen Kompromiss zu finden.

Am Morgen war bei einem Frühstück der „großen Drei“ – Chirac, Bundeskanzler Gerhard Schröder und Britanniens Premier Tony Blair – offenkundig geworden, dass London die harte Position Deutschlands und Frankreichs keineswegs teilt. Blair stärkt im Gegenteil den hartnäckigen Polen und Spaniern den Rücken. Sie sind keineswegs so isoliert, wie es scheint. Etliche Regierungschefs haben Verständnis für die polnische Position, auch wenn sie sie nicht teilen. Denn die polnische Regierung hatte mit dem Argument, zu den Großen in der EU zu gehören, das Referendum über den EU-Beitritt gewonnen. Wenn die Mehrheitsverhältnisse sich jetzt ändern sollten, verlöre die Regierung ihre Glaubwürdigkeit. Vor diesem Hintergrund drängen viele Mitgliedstaaten darauf, einen Kompromiss ohne Gesichtsverlust für die polnische Regierung zu finden. Blair vertritt diese Position, auch wenn Londons Drang nach mehr Integration bekanntlich begrenzt ist. „Wir können auch mit Nizza leben“, hatte er ganz offen gesagt. Der Vorschlag, erst später, möglicherweise erst 2014 über die Machtverhältnisse in der EU zu entscheiden, kommt ihm entgegen. Blair sieht sich jedoch nur als ehrlicher Mittler zwischen den Extrempositionen Polens und Deutschlands. Er lege größten Wert darauf, Polen und Spanien einzubeziehen, signalisierte er Schröder und Chirac. Deutschland laufe mit seiner harten Position Gefahr, am Ende in den Verhandlungen isoliert dazustehen.

Mariele Schulze Berndt[Brüssel]

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