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Hartz-Empfänger als Vorleser und Straßenkehrer: Kraft will kein Lob von der FDP

Ihre Pläne für einen "gemeinwohlorientierten Arbeitsmarkt" stoßen auf Kritik von Sozialverbänden und Gewerkschaften. Auch Krafts Parteifreundin Nahles ist skeptisch.

Die Sozialstaatsdebatte geht in eine neue Runde: Mit ihren Vorschlägen zur Beschäftigung von Hartz-IV-Beziehern sorgt die stellvertretende SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft für neuen Unmut bei Gewerkschaften und Sozialverbänden. Wissenschaftler sind skeptisch ob des Plans, Langzeitarbeitslose zu gemeinnütziger Arbeit etwa in Altenheimen, Sportvereinen oder als Straßenkehrer zu verpflichten.

Das Arbeitsministerium wies den Vorschlag zurück. Es existierten bereits genug Möglichkeiten zur gemeinnützigen Beschäftigung etwa durch Ein-Euro-Jobs, sagte eine Sprecherin des Arbeitsministeriums. Zudem sei es problematisch, ein Viertel der Langzeitarbeitslosen als chancenlos auf dem regulären Arbeitsmarkt darzustellen.

Der Vize-Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, Ulrich Walwei, sagte ZEIT ONLINE, dauerhafte Ein-Euro-Jobs für schwervermittelbare Langzeitarbeitslose zu schaffen, sei in mehrerer Hinsicht problematisch. Zum einen sei dies mit erheblichen Kosten verbunden. Zum anderen aber bestehe die Gefahr, dass Arbeitslose dauerhaft aufs Abstellgleis geschoben würden. "Niemand darf das Etikett "endgültig nicht vermittelbar" umgehängt bekommen, sagte Walwei.

Schon heute würden jedes Jahr etwa 700.000 Menschen einen Ein-Euro-Job annehmen. Insgesamt seien von den fünf Millionen erwerbsfähiger Hilfebezieher in Deutschland nur 2,6 Millionen Menschen tatsächlich arbeitslos. Alle anderen seien zum Beispiel Aufstocker, befänden sich in einer Weiterbildung oder stünden dem Arbeitsmarkt aus anderen Gründen nicht zur Verfügung. "Schon heute können wir also einem Viertel der arbeitslosen Hartz-IV-Bezieher einen Ein-Euro-Job anbieten", sagte Walwei.

Statt neue, unbefristete Ein-Euro-Jobs zu schaffen, solle man lieber darüber nachdenken, die bestehenden stärker für die Menschen zu reservieren, die nachweislich tatsächlich große Probleme hätten, den Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. "Es muss aber immer auch eine Ausstiegsmöglichkeit aus einer solchen Maßnahme geben", sagte Walwei.

Kritik kam auch vom Sozialverband VdK. Krafts Idee sei "missverständlich", sagte dessen Präsidentin Ulrike Mascher. Es gebe bereits heute eine beachtliche Zahl von gemeinnützigen Jobs in Kommunen oder bei Wohlfahrtsverbänden. "Das ist nicht unbegrenzt auszudehnen, weil einerseits Arbeitsplätze des regulären Arbeitsmarktes nicht gefährdet werden sollen und weil diese gemeinnützige Arbeit nicht zum Nulltarif zu haben ist." Mascher betonte, "nicht jeder Bereich sozialer Arbeit" sei für Langzeitarbeitslose geeignet. "Pflegeheime sind es ganz sicher nicht. Schwer- und schwerstpflegebedürftige Menschen brauchen Pflegekräfte mit hohen fachlichen und persönlichen Qualifikationen."

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte von Kraft, ihre Aussagen klarzustellen. DGB-Vorstand Annelie Buntenbach sagte, unbezahlte gemeinnützige Arbeit sei "kein Weg aus der Langzeitarbeitslosigkeit". Natürlich gebe es Langzeitarbeitslose, die zum Beispiel aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht in reguläre Arbeitsverhältnisse zu vermitteln seien. Von unbezahlten Tätigkeiten und Ein-Euro-Jobs gehe aber die Gefahr aus, dass sie reguläre Arbeitsplätze ersetzten und damit vernichten. "Deshalb muss Hannelore Kraft klarstellen, wohin die Reise gehen soll", forderte Buntenbach.

Das Erwerbslosen Forum Deutschland erteilte Krafts Vorschlägen eine Absage. Erwerbslose hätten nichts der Gesellschaft wiederzugeben. "Da wären zu allererst andere dran", sagte Sprecher Martin Behrsing. Er kritisierte, dass Kraft ihre Forderung "mit den Begriffen Würde und Perspektive verpackt". Es sei besonders die SPD gewesen, die die "Perspektivlosigkeit Hartz IV-Bezieher erst ermöglicht hat".

Auch aus der Politik gab es Reaktionen. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles betonte, dass es sich um ein "freiwilliges Angebot" handeln müsse.  Die Vorschläge Krafts sollen nach ihren Worten in das neue Arbeitsmarktkonzept der SPD einfließen, das Parteivize Olaf Scholz am kommenden Montag im Präsidium vorstellen will. Zugleich wies sie den Vergleich mit der FDP zurück, den die Liberalen selbst vorgebracht hatten. Mit Krafts Äußerungen gestehe die SPD erstmals ein, dass es im Sozialstaat einen Erneuerungsbedarf gebe, hatte Generalsekretär Christian Lindner betont. Seine Amtskollegin Nahles konterte nun: "Dies hat nichts mit dem von Unkenntnis geprägten, populistischen Geplapper der Herrn Westerwelle und Lindner gemein."

Ähnlich äußerte sich SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil: "Uns geht es um eine Perspektive für die Perspektivlosen. Westerwelle geht es um Zwang und Druck gegenüber Menschen, denen er Faulheit unterstellt, die aber faktisch keine Chance auf eine reguläre Stelle haben."

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers sieht die Linkspartei als Nutznießerin der von Kraft angestoßenen Debatte. "Ich glaube, die SPD will, dass die Linkspartei in den nordrhein-westfälischen Landtag kommt." Er sprach von einer "Debatte über eine Arbeitspflicht für Langzeitarbeitslose". Der neue Generalsekretär der Landes-CDU, Andreas Krautscheid, sprach im ZDF hingegen von einem "unausgegorenen Versuch, jetzt ein Thema kurz vor der Wahl zu begradigen". Die SPD habe sich seit Jahren geweigert, die "unsozialen Unwuchten" aus der Agenda 2010 zu korrigieren.

Der Linke-Fraktionsvize Klaus Ernst sagte, gemeinnützige Arbeit zum Nulltarif dürfe es nicht geben. "Frau Krafts Agenda-Trip zeigt, dass die NRW-SPD noch einen langen Weg vor sich hat." Brigitte Pothmer von den Grünen kritisierte, der soziale Arbeitsmarkt dürfe keine "Kolonne für Straßenfeger" werden.

Kraft selbst grenzte ihre Vorschläge deutlich von denen der FDP ab. FDP-Chef Guido Westerwelle setze auf Arbeitszwang, sie dagegen wolle Arbeitswilligen eine Perspektive schaffen. "Ich möchte auf niemanden Zwang ausüben, ich möchte aber, dass sie die Chance haben, zu zeigen, was sie leisten wollen und leisten können", stellte Kraft klar und betonte, dass sie nicht will, dass sich jemand "aufgibt". Es gehe ihr um schwer vermittelbare Hartz-IV-Empfänger, die zum Beispiel einen 1-Euro-Job machen, den aber nach einem Jahr wieder aufgeben müssen.

Für sie solle ein Arbeitsmarkt auf kommunaler Ebene geschaffen werden. "Denn diese Menschen wollen arbeiten", unterstrich die SPD-Politikerin, die für ihre Partei als Spitzenkandidatin in die Landtagswahl am 9. Mai in Nordrhein-Westfalen zieht.

In einem Interview mit dem Spiegel hatte sie vorgeschlagen, dass "diese Menschen zum Beispiel in Altenheimen Senioren Bücher vorlesen, in Sportvereinen helfen oder Straßen sauber halten" können. Dafür sollten sie einen symbolischen Aufschlag auf die Hartz-IV-Sätze bekommen. Auf diese Weise entstünden dem Staat so gut wie keine Mehrkosten. "Wir müssen endlich ehrlich sein. Etwa ein Viertel unserer Langzeitarbeitslosen wird nie mehr einen regulären Job finden", hatte Kraft gesagt. Deshalb müsse rasch "ein gemeinwohlorientierter Arbeitsmarkt" aufgebaut werden.

Quelle: ZEIT ONLINE, dpa

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