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Hartz-IV-Verhandlungen: Ein Hauch von Pulverdampf

Sieben Wochen haben Regierung und Opposition über die Hartz-IV-Reform verhandelt. Jetzt ist die Vermittlung gescheitert - die Geduldsprobe wurde zur Kraftprobe. Schuld ist natürlich immer die andere Seite.

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Ursula von der Leyen hat das Eisenlächeln abgelegt. Sieben Wochen lang hat die Bundesarbeitsministerin die SPD-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig derart angestrahlt, dass es der Kollegin aus Mecklenburg-Vorpommern schon etwas lästig wurde mit der Nettigkeit. Aber nett war gestern. „Bedauerlicherweise sind heute Abend die Verhandlungen mit der Opposition gescheitert“, sagt von der Leyen mit angespannter Miene. Sieben lange Wochen haben Koalition und Opposition über die Hartz-IV-Reform verhandelt, eine Unzahl komplexer Vorschläge ist hin und her über den Tisch gegangen, die letzten in dieser Nacht in der saarländischen Landesvertretung. Noch einmal fünf Stunden geht es hin und her, dann ist klar: Es ist vorbei, das Vermittlungsverfahren ist gescheitert. Aus der Geduldsprobe wird eine Kraftprobe. Es ist halb eins in der Nacht, doch es riecht nach zwölf Uhr mittags – High Noon. Ein Hauch von Pulverdampf liegt in der Luft.

Der Umschwung ist sofort spürbar. „Wir sind mit großem Einigungswillen auf die Opposition zugegangen“, sagt von der Leyen, und dass man ein „großzügiges Angebot“ unterbreitet habe; aber die andere Seite habe sich nun mal auf unrealistische Forderungen festgelegt. „Unglaublich!“ zischelt Elke Ferner. Die SPD-Sozialexpertin mit dem roten Igelschnitt hört zwischen den Kameras zu, wie die Arbeitsministerin der Opposition die Schuld am Scheitern zuschiebt. Als wenig später Schwesig an der Reihe ist, kehrt die den Spieß um: Kanzlerin Angela Merkel, schimpft die blonde SPD-Vizevorsitzende, habe aus bloßer Koalitionstaktik das Scheitern befohlen.

Der Tonfall wird auf beiden Seiten den ganzen nächsten Tag bestimmen und vermutlich die folgenden Tage auch. Mindestens bis zum Freitag. Am Freitag wird die Bundesregierung dem Bundesrat von der Leyens „großzügiges Angebot“ zur Abstimmung vorlegen. Die schwarz-gelb regierten Länder werden es annehmen. Aber damit es Gesetz wird, fehlt ihnen eine Stimme. Noch ein weiteres Bundesland müsste die Hand heben. Aber was, wenn nicht?

Dass es zu dieser Art von Showdown kommen würde, hat bis vor kurzem wahrscheinlich selbst von den Beteiligten keiner geglaubt. Dafür ist der Streit, um den es geht, eigentlich viel zu kompliziert.

Auf den Tag genau vor einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht die Berechnung der Hartz-IV-Sätze für verfassungswidrig erklärt. Das Verfahren, das damals in Karlsruhe entschieden wurde, geht noch auf das Gesetz aus rot-grünen Zeiten zurück. Aber Regierungen haften nun mal für die Fehler ihrer Vorgänger mit, was diesmal auch ganz gerecht ist, hat doch die damalige Unionsmehrheit im Bundesrat kräftig mitgemischt. Das Gericht also hat mehr Geld für Kinder gefordert und verlangt, dass die Hartz-IV- Sätze nach einem klaren Verfahren berechnet werden statt politisch über den Daumen gepeilt. Von der Leyen hat fünf Euro mehr für Hartz-IV-Empfänger errechnet und sich ein Betreuungspaket für Kinder ausgedacht. Der SPD hat das nicht gereicht. Diesmal hat sie im Bundesrat die Macht, nein zu sagen.

So beginnt ein Vermittlungsmarathon, dessen Verlauf nachzuzeichnen selbst den Beteiligten nicht leichtfällt. Thomas Oppermann sitzt am Mittwoch früh im Saal des SPD-Fraktionsvorstands und versucht zu erklären, was in der Nacht vor sich gegangen ist. Was genau der Unterschied sei zwischen dem Angebot der Koalition und dem Berechnungsmodus der SPD für einen neuen Hartz-IV-Regelsatz im Hinblick auf den Mobilitätszuschlag, will ein Zuhörer wissen. Der SPD-Fraktionsgeschäftsführer kapituliert. Er könne nicht Einzelheiten von Verhandlungen ausbreiten, die gar nicht mehr stattgefunden hätten, murrt Oppermann nur: „Darauf sind sie nicht eingegangen.“

Tatsächlich hat sich der Konflikt zuletzt auf einen im Detail komplizierten, im Prinzip aber simplen Punkt zugespitzt. Alles andere war abgesprochen – noch einmal mehr Geld für Kinder, das Okay für drei neue Mindestlöhne in Zeitarbeit, Wachgewerbe und der Aus- und Weiterbildung, selbst darüber, dass der Bund den Gemeinden die Kosten für die Grundsicherung im Alter erstattet, war man im Kern handelseinig. Zuletzt stand nur noch ein Punkt zur Debatte: Bleibt es bei fünf Euro plus beim Hartz-IV-Regelsatz – oder legt die Koalition auch da noch etwas drauf? Die Opposition, die SPD vorweg, wollte mehr. Von der Leyen wollte es nicht. Die Ministerin besteht auf ihrer Berechnungsmethode; die sei genau das, was die Karlsruher Richter verlangt hätten.

Die SPD hat sich für ihre Gegenvorschläge die schöne Formel ausgedacht, dadurch würde das Gesetz noch „verfassungsplausibler“. Am Ende hat die SPD sogar die Forderung nach mehr Geld fallen lassen – ihr letzter Vorschlag, der, den Oppermann nicht mehr erläutern mochte, zielte nur noch auf ein gesichtswahrendes Rechenspiel. Von der Leyen und CSU-Chef Horst Seehofer lehnten ab. Ein letztes Angebot der Koalition – noch einmal mehr Geld für die Kinder – verwarfen SPD und Grüne.

Ob bei alledem die Sorge um die Verfassung je wirklich im Vordergrund stand, darf man bezweifeln. Am Morgen danach spielt das Grundgesetz jedenfalls keine nennenswerte Rolle mehr. „Ein schwarzer Tag für die politische Kultur in Deutschland“, raunt SPD-Chef Sigmar Gabriel um 9 Uhr 20 in die Mikrofone. „Selten arrogant“ habe sich von der Leyen (CDU) verhalten, „für machttaktische Spielchen missbrauchen lassen“ habe sich die Ministerin. Auf der Regierungsseite karten sie zurück: „Die SPD fährt eine klare Lafontaine-II-Strategie“, gibt FDP-Chef Guido Westerwelle im Kabinett zu Protokoll, „erst die Partei, dann das Land.“

Aber die Hauptzielrichtung der Regierenden ist eine andere. Schon in der Nacht hat von der Leyen diese Linie vorgezeichnet. Dazu muss man wissen, dass Schwarz-Gelb im Vermittlungsausschuss die Mehrheit hat. Deshalb hat der Ausschuss am Mittwochmittag so getan, als wäre in dem Verfahren eine Einigung erzielt worden, und hat die Angebote der Regierungsseite kurzerhand gebilligt. Darüber muss der Bundesrat jetzt am Freitag abstimmen. Und da, hat von der Leyen gleich gesagt, „ist der Tag der Entscheidung dann auch gekommen“.

Es geht, mit anderen Worten, um ein Lockangebot in mehrfacher Milliardenhöhe. Profitieren könnten vor allem die chronisch klammen Gemeinden. „Die SPD sollte in sich gehen und zugreifen“, flötet der CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, sonst eher ein Paukenschläger. „Der Opposition muss schon klar sein, dass ein solches Angebot so schnell nicht wieder kommt“, droht die FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger und lässt durchblicken, dass ein neues Vermittlungsverfahren wieder bei Null beginnen würde. „Die Ministerpräsidenten können entscheiden für ihre Kommunen, für die bedürftigen Kinder im Land“, lockt von der Leyen.

Wenn sich eine Landesregierung davon ködern ließe – es wäre ein Coup wie seit langem nicht mehr. Genauer gesagt, wie seit dem Juli 2000 nicht mehr. Damals hat sich Gerhard Schröder eine Steuerreform bei Eberhard Diepgen mit der Sanierung des Olympiastadions gekauft. Dass sich so was wiederholen könnte, schließen sie auf Koalitionsseite strikt aus: „Wir werden niemanden rauskaufen“, versichert Homburger. Aber wenn ein Land auch ohne Sonderbonbon zu dem Schluss käme, dass die Taube in der Hand besser sei als ein ungewisser Spatz auf dem Dach ... ?

Am Mittwoch versichern die Verdächtigen, sie dächten nicht daran. Einschlägig verdächtig ist zum Beispiel das Saarland, in dem eine Jamaika-Koalition regiert. Doch die Bundes-Grünen haben enge Fühlung zu den Freunden an der Saar gehalten und sind sich sicher, dass die nicht kippen. Außerdem will Noch-Ministerpräsident Peter Müller demnächst Verfassungsrichter werden, wofür der CDU- Mann die SPD-Stimmen im Bundesrat braucht. „Müller können wir abhaken“, sagt ein Christdemokrat in Berlin. Das Wahlkampfland Sachsen-Anhalt können sie wohl auch abhaken. Jens Bullerjahn, der Vize-Regierungschef von der SPD, winkt ab.

Wenn also nicht noch ein Wunder geschieht, dann steht das Ergebnis des Showdown vorab fest. Im Regierungslager bauen sie schon vor für die Blamage. „Der Freitag wird vielleicht für uns dann schlecht sein“, sagt einer aus der Führung der Union. Andererseits – die SPD tue sich schwer, ihrer Klientel zu erklären, wieso sie nicht früher eingeschlagen habe: „Die können das nicht in drei Sätzen sagen.“ Manche bei der SPD fürchten, dass das so falsch nicht ist. „Das ist alles ein Programm zur Förderung der Politikverdrossenheit“, sagt ein Genosse. Zumal nach dem Freitag ja nicht Schluss sein wird. „Wir werden alle wieder an den Tisch zurück müssen“, räumen alle ein – das Verfassungsurteil muss umgesetzt werden, ein zweites Vermittlungsverfahren wäre zwingend.

Nur einer sieht das alles vermutlich gelassener.

Guido Westerwelle hat schon am Montag einen bemerkenswerten Satz gesagt. Schon heute, rechnete der FDP-Chef vor, bekomme eine vierköpfige Hartz- IV-Familie 1861 Euro vom Staat. Das sei okay, aber auch genug: „Denn alles muss erarbeitet werden von den ganz normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, was jetzt mal so eben von der Opposition als Mehrausgaben für höhere Regelsätze verlangt wird.“

Man kann sich problemlos vorstellen, wie er diesen Satz ab jetzt auf den Landtagswahlmarktplätzen zwischen Hamburg und Freiburg wiederholen wird. FDP-Wähler finden das ganz gut, wenn man sie als Leistungsträger bauchpinselt. „Es bleibt bei unserem Kernanliegen“, hat Westerwelle hinzugefügt. Das immerhin hat diese Nacht wirklich sichergestellt.

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