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Politik: Hauptstadt der Widersprüche

Von Peter von Becker Drei Tage nach dem Sturm, der Tod und Verwüstung brachte, tanzten sie wieder. So ist das Leben, gerade in dieser Stadt.

Von Peter von Becker

Drei Tage nach dem Sturm, der Tod und Verwüstung brachte, tanzten sie wieder. So ist das Leben, gerade in dieser Stadt. Mag der Ohrwurm auch nicht so frisch und der große Lindwurm der Love Parade nicht gar so lang wie in früheren Jahren gewesen sein, es ist doch noch immer ein Fest. Zwei Nächte und einen Tag lang. Berlin wirkt als Magnet für junge Menschen – da ist die Love Parade nur ein Symptom von vielen.

Diese Stadt reizt. Zu Widersprüchen, aber auch zu völlig Widersprüchlichem. Zwar hat niemand in Deutschland mehr ernstlich Angst vor der zentralistischen Übermacht einer neuen alten Kapitale. Für Entwarnung sorgt ja vor allem der Kapitalmangel, also die wirtschaftliche Situation Berlins. Dennoch ist im Umfeld der jüngsten Schloss-Debatte wieder die Welle der großen Hauptstadt-Beschwörung und Hauptstadt-Beschimpfung (vulgo: des Berlin-bashing) emporgeschwappt. Mal treten da bei den Schlossgegnern die Gespenster der Restauration und einer romantischen Verklärung von Preußens Gloria auf; mal sehen die Schlossfreunde eine Wunde in der deutschen Mitte heilen – und immerzu ist Berlin eine Projektionsfläche. Ein Chamäleon auch, das dem Betrachter von außen teils als Stadt der Künste, Medien und Wissenschaften erscheint, teils als Stätte der Verarmung und Verfilzung, angeblich ohne Kulturbürgertum und dafür voller Parvenüs. Angesichts von so viel neuer Unübersichtlichkeit erklärte ein „Zeit“-Feuilletonist Berlin gerade zur nationalen „Rumpelkammer“.

International sieht das freilich völlig anders aus. Wenn in Mailand, Paris, Moskau oder New York von Deutschland die Rede ist, dann ist Berlin fast das einzige Leuchtzeichen. Intellektuelle und Künstler, Journalisten und Wissenschaftler, vor allem aber die Jungen, die Zukunftsfinder suchen Berlin. Und das gilt auch für die Jungen im eigenen Land.

Niemanden in Düsseldorf, Stuttgart oder Leipzig bewegt heute wohl ernstlich das ehemalige Hohenzollernschloss. Nationales Zentrum ist Berlin einzig durch den Regierungssitz. Deutschlands Hauptstadt aber ist Spree-Athen und Spree-New-York: die Stadt mit den vielen Gesichtern, mit sozialen Spannungen, vielen Narben noch immer, aber einem kulturellen, auch lebenskulturellen Reichtum. Darum will, wer zwischen Rosenheim und Rostock gerade Abitur gemacht hat und zum Studium, zum eigenem Aufbruch eine Großstadt sucht, heute fast immer nach Berlin. München oder Hamburg sind gediegener als Berlin. Aber für die Quicken, Neugierigen, Welthungrigen sind die soliden, liebenswerten deutschen Mittelmetropolen doch eher hübsche Kurorte. Und sage keiner, es gäbe nicht auch dort neben gewachsener Bürgerkultur den Provinzfilz, die kotzbröckelnden Parvenüs und die nur anders genannte Laubenpieperei.

Berlin ist in der Krise, natürlich. Aber Berlin leuchtet auch: mit seinen Museen und Clubs, den Theatern, Konzerten und den besten Restaurants, mit seinen Schlössern, Seen und Parks, mit den seit der Wende renovierten Vierteln und einer unvergleichlichen „Vorstadt“-Perle ns Potsdam. Berlin irrlichtert auch und funzelt oft. Das Hauptproblem ist dabei freilich die Hauptstadtpolitik. Solange sie kein neues Licht aufsteckt, leuchtet Berlin auch sich selbst nicht ein.

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