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Wie kleine Trutzburgen. Rund 700 nationalistisch gesinnte israelische Siedler leben in Hebron – zum großen Teil hermetisch abgeschottet von ihrer Umgebung. Ihre Häuser werden rund um die Uhr bewacht. Foto: Menahem Kahane/AFP

© AFP

Hebron: Mauern der Macht

Der Konflikt um die Stadt Hebron tobt bis heute. Und wird unversöhnlich wie kompromisslos geführt. Radikale jüdische Siedler beanspruchen Teile der Altstadt für sich – dort lebende Palästinenser sind die Leidtragenden.

Wenn Yehuda Schaul Besucher durch Hebron führt, beginnt er seine Tour an einem Grab. Es befindet sich außerhalb der Stadt am Eingang zur israelischen Siedlung Kirjat Arba, gelegen auf einer Anhöhe mit weitem Blick über biblisches Land. Über ein paar Stufen gelangt man zu einer sandfarbenen Platte. Darauf liegen nach jüdischem Brauch ein paar Kiesel. Doch die Inschrift ist gut zu lesen. In hebräischen Lettern heißt es: „Hier liegt Doktor Baruch Kappel Goldstein. Ohne Fehl und mit reinem Herzen opferte er sich für sein Volk, die Thora und das Land Israel. Möge Gott diesen Gerechten segnen, sein Blut rächen, seiner Seele ewige Ruhe geben. Er wurde als Märtyrer Gottes am 14. Adar, Purim, im Jahre 5754 (1994) getötet.“

Es klingt, als ob an einen Heiligen erinnert werden soll. Einen, der stets Gutes getan hat und dennoch mit Gewalt aus dem Leben gerissen wurde. Aber Baruch Goldstein war alles andere als ein Held. Er war ein Fanatiker. Ein fundamentalistisch gesinnter Anhänger der Idee eines Groß-Israels. Und ein Massenmörder.

Am Morgen des 25. Februar 1994 betritt der Arzt, bewaffnet mit einem Sturmgewehr und gefüllten Magazinen, den muslimischen Teil der „Höhle Machpela“. Ein auch für Juden heiliger Ort. Denn dort, im Zentrum Hebrons, befindet sich der Überlieferung nach die Grabstätte der „Stammväter“ Abraham, Isaak und Jakob. Viele Gläubige haben sich während des Ramadans zum Gebet versammelt. Goldstein zögert keine Sekunde und eröffnet das Feuer. Mehr als 30 Palästinenser sterben im Kugelhagel, unter den Opfern sind auch Kinder. Als die Patronen verschossen sind, erschlagen die Überlebenden des Massakers den Siedler mit einem Feuerlöscher. Es ist der tragische Höhepunkt eines jahrzehntelangen blutigen Konflikts zwischen Arabern und Israelis um Hebron. Er tobt bis heute. Und wird unversöhnlich wie kompromisslos geführt.

Das liegt in erster Linie an den radikalen Siedlern. Da hegt zumindest Yehuda Schaul keinen Zweifel. Zwar seien nicht alle vom Kaliber eines Baruch Goldstein. Doch irgendwie schwebe dessen extremistischer Geist über Hebron. Die Leidtragenden seien fast ausschließlich Palästinenser. Sie würden schikaniert, ja diskriminiert. Viele hätten bereits frustriert die Stadt verlassen. „Hebron wird mehr und mehr zu einer Geisterstadt“, sagt Schaul.

Geisterstadt? Klingt dramatisch. Aber womöglich haut da ja ein Aktivist einfach auf die rhetorische Pauke. Dagegen spricht Schauls ruhige Art, die nichts Eiferndes hat. Und seine Vergangenheit. Sie verleiht seinen Worten nicht nur Autorität, sondern vor allem Authentizität. Der korpulente 30-Jährige stammt aus einer Siedlerfamilie, war Soldat. Er hat seinem Land gedient, aus Überzeugung. Und zwei Mal war der strengreligiöse Mann mit der dunklen Kippa in Hebron stationiert, zunächst als einfacher Soldat, später im Rang eines Offiziers.

Anfangs hat Schaul „funktioniert“. Palästinenser bei Razzien nachts aus dem Schlaf reißen? Geht in Ordnung. Die Menschen ohne jeden Anlass auf der Straße kontrollieren? Dient doch dem Kampf gegen Terroristen. Irgendwann allerdings begann Schaul, an sich zu zweifeln. Was hatten die Palästinenser ihm eigentlich getan, was haben sie denn verbrochen?

Immer wieder stellte er sich diese Fragen und kam schließlich zur Überzeugung: So geht’s nicht weiter. Schaul gründete mit anderen Veteranen „Breaking the Silence“ (Das Schweigen brechen). Eine Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Übergriffe in den palästinensischen Gebieten zu dokumentieren und damit eine Debatte über die Folgen der Besatzung zu ermöglichen. Und Hebron soll dafür als drastisches Beispiel dienen.

Gut 40 Kilometer südlich von Jerusalem im Westjordanland gelegen, ist die Stadt zu einem Ort geworden, der schon gleich nach der Ankunft fast körperliches Unwohlsein verursacht. An jeder Ecke Soldaten mit Maschinengewehren. Ein paar Siedler sind zu sehen, erkennbar an ihrer gehäkelten Kopfbedeckung. Einige tragen Waffen. Aber noch bedrückender ist etwas anderes: Die Straßen in der Altstadt sind fast menschenleer. Kein Laut ist zu hören, nur von Ferne ruft der Muezzin zum Gebet. Keiner, der mal aus dem Fenster schaut. Niemand, der Einkaufstüten nach Hause trägt oder spazieren geht. Nirgendwo Kinder, die spielen.

Wie auch? Fast alle Geschäfte sind geschlossen. Offenkundig seit langem. Farbe blättert von einst beigefarbenen Blechtüren, ein milchiger Staubfilm bedeckt die Fenster. Der Gemüse- und Obstmarkt, Ende der 90er Jahre voller Menschen, ist heute ein trostloser Ort. Denn Palästinenser dürfen seit der zweiten Intifada weder die umliegenden Straßen nutzen noch Geschäfte öffnen. Aus Sicherheitsgründen, heißt es. Viele Menschen sind fortgezogen. Die wenigen noch bewohnten Häuser gleichen mit ihren vergitterten Fenstern großen Käfigen. Eine Maßnahme, die laut Schaul die Bewohner vor den Steinwürfen radikaler Siedler schützen soll. Die haben sich nämlich in Hebrons Zentrum niedergelassen. Vier Siedlungen gibt es. Und alle gleichen mit dem sie umgebenden Stacheldraht, den Wachposten und Videokameras kleinen Trutzburgen.

Hebron ist seit 1997 eine geteilte Stadt. In Zone H1, unter palästinensischer Verwaltung, leben heute 120 000 Menschen. In Zone H2, unter israelischer Aufsicht, sind es noch 30 000 Palästinenser – und gut 700 nationalreligiös gesinnte jüdische Siedler. Dieses mit Betonsperren abgeschottete Territorium reicht tief in das historische Zentrum hinein. Immer wieder hält Schaul Fotos hoch. Sie zeigen, wie quirlig dieser Teil Hebrons einst gewesen sein muss. Heutzutage haben hier Araber kaum noch Rechte. Dementsprechend groß ist ihr Frust. Und der Zorn auf die Siedler, von denen viele glauben, ihnen allein gehöre Hebron. In den vergangenen Jahren schlug die hasserfüllte Wut immer wieder in Gewalt um. Mal standen palästinensische Extremisten auf Häuserdächern und warfen am Schabbat Granaten auf Juden. Mal ermordeten sie eine israelische Familie. Schaul verhehlt derartige Exzesse keineswegs. „Ja, es kommt zu Übergriffen von Arabern.“ Doch dass die Siedler gleichfalls mit großer Brutalität vorgehen, die Araber loswerden möchten und zudem von Soldaten geschützt werden – dies dürfe man eben auch nicht verschweigen.

So bestimmen Angst, Aggression und Apathie das Leben in Hebron. Doch es gibt Projekte, die eine Perspektive aufzeigen könnten. Dazu gehört das Hebron Rehabilitation Committee. Unterstützt von der Kreditanstalt für Wiederaufbau sanieren dessen Mitarbeiter verlassene Häuser in der Altstadt. Palästinenser sollen dazu bewegt werden, dorthin zurückzukehren. Mehr als 60 Appartements sind so entstanden, in denen 240 Menschen leben. Zumeist handelt es sich um sozial schwache Familien, denen der Umzug in die von Israel kontrollierte Zone H2 mit sehr niedrigen Mieten und großzügigem Wohnraum „schmackhaft“ gemacht wurde.

Das allein wird Hebron jedoch kaum zu Frieden verhelfen. Also wird Yehuda Schaul wohl noch häufig Besucher durch die geteilte Stadt mit ihren menschenleeren Straßen führen. Und vermutlich beginnt sein Rundgang wieder am Grab von Baruch Goldstein. Dem fanatischen Siedler, der an einem Tag 30 Muslime tötete. Und bis heute von seinen Anhängern als Märtyrer verehrt wird.

Der Besuch in Hebron wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung organisiert.

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