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Sachsens CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich am Mittwoch mit "besorgten Bürgern" in Heidenau

© Arno Burgi/dpa

Heidenau, Freital, Pegida: Wie die Tillich-CDU Sachsen schädigt

Warum Sachsen? Der frühere Landesgeschäftsführer der Grünen, Hubertus Grass, unternimmt einen Erklärungsversuch zu den sächsischen Verhältnissen. Ein Gastkommentar.

Es ist fast 20 Jahre her. Damals baten unsere damalige Vorsitzende Kornelia Müller und ich als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen den Generalsekretär der sächsischen CDU um ein vertrauliches Gespräch. Wir hatten Steffen Flath darum gebeten, weil uns – damals noch außerparlamentarische Kraft – die Sorge um das Erstarken des Rechtsextremismus umtrieb.

1996 stand die CDU im Zenit ihrer Macht in Sachsen. Zwei Jahre zuvor hatte sie mit fulminanten 58,1 Prozent die Landtagswahlen gewonnen und verfügte mit 77 von 100 Sitzen über eine satte Zweidrittelmehrheit im Landtag. Die NPD war noch nicht in Sachsen etabliert Aber schon damals zeichnete sich ab, dass auf Sachsen ein Riesen-Problem mit dem wachsenden Neo-Nationalismus und dem Rassismus zukam. NPD, Junge Nationalisten und gewalttätige rechte  Skinheads machten sich überwiegend auf dem Land in Sachsen breit und verfolgten das Konzept der „national befreiten Zonen“. Offene Gewalt, Einschüchterung an Schulen und Terror gegen Jugendliche, die sich als politisch links stehend erkennbar zeigten, waren damals in Kleinstädten wie in Sebnitz, Zittau, Wurzen und vielen anderen Orten Sachsens an der Tagesordnung. Nicht nur die Ausschreitungen in Hoyerswerda von 1991 hatten gezeigt, dass die Sachsen alles andere als „immun gegen den Rechtsradikalismus“ (Kurt Biedenkopf) waren.

Heinz Eggert, sächsischer Innenminister von 1991 bis 1995, hatte schon  früh die SoKo Rex eingerichtet, um einen polizeilichen Verfolgungsdruck auf die Rädelsführer der gewaltbereiten Nationalisten-Szene auszuüben. Dennoch fühlte sich die rechte Szene in Sachsen sichtbar wohl und breitete sich über die Hotspots in der Sächsischen Schweiz, der Lausitz und um Riesa über den Freistaat aus. Faktoren wie die hohe Zahl der Arbeitslosen, weit verbreitete Enttäuschung und Wut über den Verlauf des Prozesses der Deutschen Einheit, eine unterentwickelte politische Bildung in Kombination mit einer überbordenden Staatsgläubigkeit begünstigten eine Entwicklung, in denen die NPD und ihre Vorfeldorganisationen die Verlierer und die, die sich so fühlten, nur noch einzusammeln brauchte und dem Hass und der Wut eine neue Richtung zu geben.

Kurt Biedenkopfs eigene Akzente

Sachsen stand vor dem Phänomen des Rechtsradikalismus Mitte der 90ziger Jahre in vergleichbarer Situation wie die anderen neuen Bundesländer. In der politischen Kommunikation setzte die allein regierende CDU und namentlich Ministerpräsident Biedenkopf in Sachsen aber eigene Akzente: Wenn Biedenkopf oder führende Vertreter der CDU in Sachsen vom „politischen Extremismus“ sprachen, so waren damit sowohl die PDS als auch die Neonazis gleichermaßen gemeint.

Das war damals der Anlass für uns, ein vertrauliches Gespräch mit Steffen Flath zu führen. Wir erläuterten ihm bei unserem Zusammentreffen, dass wir die Gleichsetzung von PDS und Neonazis in mehrfacher Hinsicht für kontraproduktiv hielten:

- PDS und Nazis in einen Topf zu werfen, sei eine Verharmlosung der politischen und gesellschaftlichen Gefahr, die von den Rechten ausgeht.

- Der Sprachgebrauch sei eine politische Dummheit, weil er die Intelligenz eines Durchschnittsbürgers beleidige – PDS und Neonazis hätten nichts, auch gar nichts miteinander zu tun. Das politikwissenschaftliche Konzept der Extremismusforschung einer Gleichsetzung der politischen Ränder sei aus den fünfziger und sechziger Jahren und längst wissenschaftlich widerlegt und überholt.

- Letzen Endes würde sich die CDU in Sachsen selbst mit dieser Gleichsetzung schaden, denn diese Strategie schrecke wohlmeinende Menschen ab. Es nütze einzig und allein den Rechten. Wegen ihrer Rückwärtsgewandtheit, ihrer Demokratiefeindlichkeit und ihrer menschenverachtenden Gewalt gebührte ihr ein Alleinstellungsmerkmal, dass durch die kollektive Ächtung durch die demokratischen Parteien, die Verbände, die Kirchen und andere gesellschaftliche Institutionen zum Ausdruck zu bringen sei. Jetzt, so argumentierten wir, sei ein Schulterschluss aller Demokraten gegen die Feinde der Demokratie notwendig, um den Nationalismus zu bekämpfen.

- Irgendetwas gemeinsam mit der PDS zu machen, das konnte sich Steffen Flath beim besten Willen nicht vorstellen. Ansonsten fand er unsere Argumente für bedenkenswert, machte uns aber wenig Hoffnung, dass sie in der sächsischen CDU auf fruchtbaren Boden fielen. Die Sprachregelung vom politischen Extremismus sei vom Ministerpräsidenten vorgegeben und die Bereitschaft, an dieser politischen Strategie etwas zu ändern, entsprechend gering. Da man in Sachsen herausragende Wahlergebnisse einfahre, sei das Bedürfnis bei der CDU in Sachsen nach Veränderung derzeit nicht gerade stark entwickelt.

Staatskanzlei als Parteizentrale der CDU

Während in den anderen ostdeutschen Bundesländern die regierenden Parteien auch mal abgelöst wurden, ist die CDU in Sachsen durchgängig an der Macht geblieben. Seit 1990 stellt sie nicht nur den Regierungschef, sondern eine Reihe von Ressortchefs wie zum Beispiel den Innenminister. Und mit der CDU regiert in Sachsen ein konservativer Geist, der nicht nur in Bezug auf den Umgang mit dem Phänomen des Neo-Nationalsozialismus an die Ära Adenauer erinnert. Das erklärt auch das bundesweit einmalige Agieren der sächsischen Justiz, die in Dresden weniger gegen die ermittelte, die alljährlich die Nazi-Aufmärsche organisierten, sondern gegen jene, die dagegen auch mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams protestierten. Und beim Evangelischen Kirchentag 2011 in Dresden sperrte der CDU-Landtagspräsident die Pforten des Landtages, weil ihm die Diskutanten zu linkslastig erschienen.

In Sachsen pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass die Staatskanzlei in Dresden seit 25 Jahren auch die Parteizentrale der CDU ist. Hier werden Parteitagsreden ebenso geschrieben wie CDU-Wahlprogramme und Koalitionsvereinbarungen. Hier wird keine konservative, sondern altbackene Politik gedacht, gemacht und durchsetzt. Für offene Diskussionen (vom herrschaftsfreien Diskurs nach Habermas gar nicht zu reden!) ist in der strengen Hierarchie dieser sächsischen Politikwelt kein Raum.

Mit Pegida-Phänomen völlig überfordert

Deshalb war die Führungselite des Freistaates auch im Umgang mit dem Pegida-Phänomen intellektuell völlig überfordert. Ein Zusammengehen mit jenen, die gegen die „Volksverräter“ grölenden Mengen auf die Straße gingen, kam zu keiner Zeit in frage, weil die Abgrenzung nach links sich tief in die sächsische CDU eingebrannt hat. Links – da steht der Feind. Rechts – da geht es aus Sicht der CDU in Sachsen um Wählerstimmen.

Mit dieser sehr engen Sicht auf die politische Welt trat die CDU jahrelang auch in Dresden auf der Stelle, als es darum ging, zum 13. Februar die Aufmärsche der Nazis zu stoppen. Lieber verharrte sie lieber in ihrer Äquidistanz zur linken Szene und zu den Neonazis, als eine Partei zu agieren, der es um die Bewahrung von – für die Demokratie  - unverzichtbaren Werten geht.

Hubertus Grass, Ex-Landesgeschäftsführer der Grünen in Sachsen
Hubertus Grass, Ex-Landesgeschäftsführer der Grünen in Sachsen

© privat

Als die Bundeskanzlerin sich auf Christian Wulff berufend dessen Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ wiederholte, offenbarte Ministerpräsident Tillich, wie sehr das Niveau des politischen Kurses in Sachsen mittlerweile gesunken ist: „Der Islam gehört nicht zu Sachsen.“ Gerichtet war er an die Anhänger der Pegida. Und die Botschaft lautete: Die sächsische Union ist anders als die Bundes-CDU mit ihren liberalen Tendenzen. Für Pegida gibt es in Sachsen keinen Grund.

Tillich hat es immer noch nicht wahrgenommen: Die politische Strategie, die seit Biedenkopf fortbesteht, ist in mehrfacher Hinsicht gescheitert: Die rechte gewaltbereite Szene und ihre immer zahlreicher werdenden Unterstützer sind ist stärker denn je in Sachsen. Sachsens Ruf als Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort ist akut bedroht und die sächsische CDU ist – das hat die Wahl in Dresden gezeigt – im großstädtischen Milieu kaum noch wählbar. Auch im Freistaat geht es mit der CDU langsam aber stetig bergab: Im Vergleich zu 1994 hat die CDU in Sachsen bei der Landtagswahl 2014 mehr als eine halbe Millionen Stimmen verloren. Wahlen werden in der Mitte der Gesellschaft gewonnen und nicht am rechten Rand. Und die Mitte der Gesellschaft wird beginnend in den Großstädten zunehmend tolerant und weltoffen. Auch in Sachsen. Die Ereignisse in Freital und Heidenau können darüber nicht hinwegtäuschen.

Der Autor war von 1992 bis 2000 und von 2008 bis 2010 Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen. Nach seiner Tätigkeit als Pressesprecher des Evangelischen Kirchentages in Dresden 2011 machte er sich als Unternehmensberater selbständig.

Hubertus Grass

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