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Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) äußert sich am 04.08.2015 in Berlin gegenüber Journalisten zur Affäre um die Landesverrats-Ermittlungen gegen Journalisten des Blogs Netzpolitik.org. Dabei kündigte er an, Generalbundesanwalt Harald Range von seinem Amt zu entheben.

© dpa

Heiko Maas und der Fall Netzpolitik.org: Staatsanwaltschaft prüft Strafvereitelung im Bundesjustizministerium

Bundesjustizminister Heiko Maas sieht sich heftigen Vorwürfen ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft Berlin prüft nach Tagesspiegel-Informationen im Fall Netzpolitik.org eine "Strafvereitelung im Amt". Der Verein der Bundesrichter und Bundesanwälte beim BGH greift den Minister an.

Die Einmischung des Bundesjustizministeriums von Minister Heiko Maas (SPD) in die Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen Journalisten wegen Landesverrats beschäftigt nun auch die Berliner Staatsanwaltschaft. "Wir prüfen den Anfangsverdacht einer Strafvereitelung im Amt", sagte Behördensprecher Martin Steltner dem Tagesspiegel (Donnerstagsausgabe). Der Staatsanwaltschaft lägen mehrere Anzeigen vor, die sich gegen Mitarbeiter des Ministeriums richten.

Nach der Entlassung von Generalbundesanwalt Harald Range durch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) ist die Debatte über die Unabhängigkeit der Strafermittler voll entbrannt. Während der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes (DRB), Christoph Frank, ein Ende des Weisungsrechts der Justizminister gegenüber Staatsanwälten forderte, sprach sich der Präsident des Deutschen Anwaltsvereins (DAV), Ulrich Schellenberg, für die Beibehaltung der ministeriellen Dienstaufsicht aus.

Am härtesten aber spricht sich der Verein der Bundesrichter und Bundesanwälte des BGH gegen das Vorgehen von Heiko Maas aus. In einer Erklärung schreiben die Bundesrichter und Bundesanwälte: "Erfolgt eine Weisung rechtswidrig und zu dem Zweck, eine Bestrafung zu vereiteln, so macht sich der Anweisende wegen Strafvereitelung im Amt strafbar (§ 258 und § 258a des Strafgesetzbuchs)."

Weiter heißt es in der Erklärung, es gebe "Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Behinderung der Ermittlungen des Generalbundesanwalts, die bis hin zu dessen Entlassung geführt hat. Es ist der Eindruck entstanden, dass in die laufenden prozessordnungsgemäßen Ermittlungen eingegriffen wurde, um ein bestimmtes – politisch gewolltes – Ergebnis zu erreichen, und zwar durch eine gezielte Steuerung der Beweisaufnahme. Die Expertise eines neutralen Gutachters sollte offenbar durch ein Behördengutachten des Ministeriums ersetzt werden."

Weiter schreiben die Bundesrichter und Bundesanwälte: "Derartige Eingriffe bewirken – möglicherweise gewollt –, dass klärungsbedürftige Fragen, die immerhin die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betreffen, von der Rechtsprechung ferngehalten und damit den unabhängigen Gerichten entzogen werden. Dadurch wird nicht nur das Amt des Generalbundesanwalts, sondern auch der Rechtsstaat beschädigt. ... Der vorliegende Fall gibt aus Sicht des Vereins erneut Anlass, kritisch über das politische Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft (§ 147 des Gerichtsverfassungsgesetzes) nachzudenken."

Die Anwälte vertreten eine andere Auffassung

Anwalts-Vertreter Schellenberg verwies darauf, dass die Staatsanwaltschaft gemäß der demokratischen Gewaltenteilung zur Exekutive zählt und nicht zur unabhängigen rechtsprechenden Gewalt. Die Staatsanwaltschaft müsse deshalb der Aufsicht und den Weisungen der Justizminister unterliegen. Die Minister trügen dafür die parlamentarische Verantwortung und würden ihrerseits wiederum "durch das Parlament kontrolliert", erklärte Schellenberg. Würde diese Kontrolle wegfallen, drohe eine "nicht zu akzeptierende Demokratielücke".
Richterbund-Chef Frank, der Oberstaatsanwalt in Freiburg ist, plädierte demgegenüber dafür, dass Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden künftig von Gerichten überprüft werden und nicht von Justizministern des Bundes oder der Länder: "Wenn Deutschland jetzt einen EU-Aufnahmeantrag stellen würde, bekäme es aufgrund der auch international umstrittenen Weisungsabhängigkeit der deutschen Staatsanwaltschaften große Probleme mit Brüssel", sagte Frank der "Rheinischen Post" (Mittwochsausgabe).
Dem Südwestrundfunk (SWR) sagte Frank, dass sich Staatsanwälte wegen des überholten Gerichtsverfassungsgesetzes in einer "Zwitterstellung" befänden: Sie sollten objektiv ermitteln, zugleich aber im Zweifel Anweisungen aus den Justizministerien folgen müssen.
Diese Zwitterstellung habe auch im Fall der Ermittlungen von Range gegen Journalisten des Blogs netzpolitik.org zu einem Problem geführt, sagte Frank. Range sei "Teil der Exekutive" gewesen und "streng gesetzesgebunden", nach der Strafprozessordnung zu ermitteln. Andererseits unterlag er dem Weisungsrecht und stand damit "immer unter der Option politischen Eingreifens".
Frank verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass bei bedeutsamen Strafverfahren immer wieder der Verdacht einer politischen Einflussnahme aufkeime. So sei zuletzt etwa in den Ermittlungsverfahren gegen den SPD-Politiker Sebastian Edathy wegen Kinderpornografie oder gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff öffentlich darüber spekuliert worden, ob politisch Einfluss auf die Staatsanwaltschaft genommen worden ist. "Das bringt sowohl die Staatsanwälte als auch die politisch Verantwortlichen in Bedrängnis, die sich gegen den Verdacht wehren müssen", sagte Frank der Nachrichtenagentur AFP. (Tsp/AFP)

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