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Helmut Kohl: Altkanzlermilde

Helmut Kohl stellt den neuen Band seiner „Erinnerungen“ vor – und verkneift sich böse Worte über Thierse.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Was er über Wolfgang Thierse denkt, will Helmut Kohl nicht sagen. Nur so viel: Am Morgen sei ein zweiter Brief des Bundestagsvizepräsidenten eingegangen. „Herr Thierse hat sich bei mir in aller Form entschuldigt“, berichtet der Altbundeskanzler. „Ich nehme diese Entschuldigung an.“ Erledigt. Erst später, als die Buchvorstellung seines dritten Memoiren-Bandes weit fortgeschritten ist und sich die vertraute Atmosphäre des „Journalisten fragen – Kohl frozzelt zurück“ eingestellt hat, erst später also wird er darüber spotten, dass der Journaille ja auch nicht jeden Tag solche „Kostbarkeiten“ wie von Herrn Thierse geboten würden. Will sagen: Der erledigt sich selbst.

Tatsächlich hat Thierse am Freitag erneut geschrieben: „Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, werter Herr Dr. Kohl“ und er hat noch einmal versichert, dass er in seinem „verkürzt wiedergegebenen Interview“ keine Vorwürfe habe erheben wollen. Dieser „falsche Eindruck“ sei aber entstanden, wofür er in aller Form um Entschuldigung bitte.

Was den SPD-Politiker dazu gebracht hat, dem ersten Bedauern die Entschuldigung folgen zu lassen, lässt sich nur mutmaßen. Der Ältestenrat des Bundestages hatte sich am Donnerstagabend mit dem Vorgang befasst und beschlossen, keine Konsequenz zu ziehen. Andererseits hatte die Kanzlerin heftig Position bezogen – das Thierse-Zitat „Seine Frau im Dunkeln in Ludwigshafen sitzen zu lassen, wie es Helmut Kohl gemacht hat, ist kein Ideal“ grenze „an Niedertracht“. Und auch aus der SPD kam Gegenwind. Thierses Entschuldigung sei glaubhaft, erklärte Finanzminister Peer Steinbrück in einer Talkshow, aber: „Tatsächlich hat er eine Grenze überschritten.“ Selbst der Freispruch, mit dem SPD-Chef Kurt Beck Freitag früh dafür plädierte, die Sache jetzt auf sich beruhen zu lassen, klang im Nachsatz wie die Bitte eines Lehrers um Nachsicht mit einem Schüler, der manchmal halt nicht merkt, was er daherredet. „Das ist eine Sache, die sicher von Wolfgang Thierse nicht in der Wirkung beabsichtigt war“, befand Beck jedenfalls.

Aber: erledigt. Außerdem taugt die Vorstellung von Kohls „Erinnerungen“, dritter Band von 1990 bis 1994, nun mal nicht zur Abrechnung. Er habe „kein Buch der Rache“ schreiben wollen, sagt der Altkanzler: „Ich hab’ nicht dahin gesessen und überlegt, wem tret’ ich ans Bein und wem geb’ ich eine Streicheleinheit.“ Einer dieser Sätze übrigens, deretwegen man dringend bedauert, dass Helmut Kohl seine Memoiren aufgeschrieben hat, statt sie als Hörbuch zu sprechen, und zwar am besten aus dem Stegreif. Da wäre der Nachwelt besser als auf knapp 800 Seiten drögen Kanzleistils erhalten worden, was diesen massiven, nach einer Knieoperation einstweilen kaum mehr beweglichen alten Mann zum Ausnahmepolitiker gemacht hat.

Das Ironisch-Listige zum Beispiel – dass Angela Merkel in dem Band nur ein Mal vorkomme, sei der Tatsache geschuldet, dass sie ihm 1994 zum ersten Mal begegnet und auf ein nicht allzu wichtiges Ministerium gesetzt worden sei: „Aber sie hat einen guten Job gemacht. Sonst wäre sie ja nicht geblieben.“ Oder das Pathos, mit dem der Kanzler der Einheit ein Denkmal der Einheit eher zweitrangig findet („auch in Ordnung“), ihm aber am Herzen liegt, dass wenigstens die Hälfte der Deutschen sich noch korrekt an die Jahre erinnern könnten, die „aus unserem Vaterland wieder ein glückliches Land gemacht“ hätten. Und nicht zuletzt der alte Kämpfergeist. Den kriegt, wie üblich, der Mann vom „Spiegel“ ab. Mal sehen, raunzt Kohl, wer da als neuer Chefredakteur komme – und ob der auch wieder so eine „Giftspritze“ werde.

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