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Politik: Hermann Scheer, SPD-Bundestagsabgeordneter und Parteilinker (Porträt)

"Ich bin kein Mann des Konsenses." Das hat schon mancher in der SPD-Bundestagsfraktion, im Parteivorstand oder draußen im Lande zu spüren bekommen.

"Ich bin kein Mann des Konsenses." Das hat schon mancher in der SPD-Bundestagsfraktion, im Parteivorstand oder draußen im Lande zu spüren bekommen. Hermann Scheer, den sie den "Solarfighter" nennen, ist ein unerbittlicher Streiter - der "Hardliner für sanfte Energien". Jetzt erhält der 55 Jahre alte Bundestagsabgeordnete, ehrenamtlicher Präsident des Vereins "Eurosolar", einen der vier Alternativen Nobelpreise. Er wird ausgezeichnet für seinen "unermüdlichen Einsatz gegen politische und institutionelle Widerstände, die Interessengruppen der Atomkraft und der fossilen Energieträger häufig durchzusetzen versuchen". Es ist der Ehrenpreis der "Stiftung für richtiges Leben".

Scheer ist ein kantiger Linker in der SPD; einer, der vielen lästig wird, begabt mit einer intellektuellen und politischen Rauflust - auch im Kreis der Genossen. Ein Überzeugungstäter. Er hat sich im Lauf seines Politikerdaseins - dem Bundestag gehört er seit 1980 an - nicht allein in der Energiepolitik Freunde und viele Feinde geschaffen. Zu streiten, auch an unterschiedlichen Fronten, selbst wenn das Ziel weit entfernt zu sein scheint, das gehört zu seinem Markenzeichen.

Solche Zähigkeit wurde offensichtlich schon früh eingeübt. Scheer war ein guter Schwimmer - beispielsweise Wasserballer bei Spandau 04 -, und im Mehrkampf brachte er es sogar zur Mitgliedschaft in der Fünfkampf-Jugendnationalmannschaft. Wider den Stachel zu löcken gehört zu seiner Natur - in der Debatte um Abrüstung und Rüstungskontrolle, in der die SPD schier zerreißenden Asyldebatte, zuletzt zum Ärger und Zorn von Kanzler Schröder im Streit um die Luftangriffe auf Jugoslawien, als er die sofortige Einstellung der Bombardements forderte. Der ehemalige Außenpolitiker Hermann Scheer demonstrierte Eigenständigkeit, nicht selten zwischen Ohnmacht und Wut, auch in gehöriger innerer Distanz zum Kanzler und Parteichef.

Scheer wure am 29. April 1944 in Wertheim geboren. Der promovierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, der in Berlin aufwuchs, hier auch 1964 das Abitur machte und später im Schwäbischen seine Heimat fand, legte im Jahr 1988 die Außen- und Sicherheitspolitik - formal - ad acta und wandte sich der Energiepolitik zu. Dafür erntete er damals gehöriges Kopfschütteln.

Damals galt der Abrüstungsexperte als außenpolitischer Hoffnungsträger, und nun schien er sich selbst auf das politische Abstellgleis zu stellen. "Zurück zur Politik" heißt eine seiner streitbaren und strittigen Schriften, und darin finden sich Motive für seinen Wechsel - der im Kontrast stand zu den gängigen Ritualen auf politischer Bühne: Er reibt sich an der Sache und stellt den eigenen vordergründigen Aufstieg in den Hintergrund.

1988 gründete Scheer die Europäische Sonnenenergie-Vereinigung "Eurosolar", deren Präsident er ist. Die Vereinigung macht sich stark für die völlige Ablösung atomarer und fossiler durch erneuerbare Energiequellen. Diesem Engagement liegt - im Gegensatz zu manchen ökologischen Skeptikern - die Überzeugung zugrunde, dass "der Prozess der kollektiven Selbstzerstörung der Menschheit" noch nicht so weit fortgeschritten sei, dass er nicht umkehrbar wäre. So formulierte er es in dem Buch "Sonnen-Strategie. Politik ohne Alternative".

Tatsächlich hat "Eurosolar" in den jetzt elf Jahren des Wirkens die Nutzungsmöglichkeiten vor allem der Sonnenenergie, aber auch von Wasser, Wind und Biomasse deutlich ausgeweitet. Daran wirkt ein hochrangiges Team von Ingenieuren, Architekten, Handwerkern, Wissenschaftlern und Juristen mit. Immer getreu dem Motto, dass Machtausübung und die Realisierung von Zukunftsmodellen nicht allein den Regierenden zugemessen werden dürfen. Mit mehr als 20 000 Mitgliedern ist "Eurosolar" heute die weltweit größte Energievereinigung. Die Arbeit wird gewürdigt; jetzt mit dem Alternativen Nobelpreis, im Juli 1998 mit der Verleihung des "Welt-Solarpreises" durch die Weltbank. Scheer packt an, und deshalb auch hat er vergangenes Jahr den Schröderschen Wahlslogan "Innovation" als Leerformel verspottet.

Klaus J. Schwehn

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