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Politik: Herrschaft der Opfer

Die Wahl in Ruanda soll die Überlegenheit der Tutsi bestätigen

Von Wolfgang Drechsler,

Kapstadt

Wenn heute der Name Ruanda fällt, denken die meisten unwillkürlich an den Völkermord von 1994 – einen Genozid, der selbst in der blutigen postkolonialen Geschichte Afrikas seinesgleichen sucht. 800 000 Menschen, ganz überwiegend Mitglieder der Tutsi-Minderheit, fielen damals binnen weniger Tage einem generalstabsmäßig geplanten Völkermord des Hutu-Regimes zum Opfer. Die internationale Gemeinschaft blieb damals untätig, obwohl sie bereits Wochen vorher vor den mörderischen Absichten des Hutu-Regimes gewarnt worden war. Erst die von den Tutsi dominierte Guerillabewegung FPR (Front patriotique rwandais) unter Paul Kagame bereitete dem Gemetzel schließlich ein Ende.

Die historisch einmalige Konstellation, dass nach einem Völkermord die Vertreter der Opfer die politische Macht erringen, begründet das moralische Überlegenheitsgefühl der gegenwärtigen Tutsi-Regierung in Ruanda und erklärt, weshalb die in Kigali amtierende FPR politisch keinen Widerspruch duldet. Ruanda gleiche dieser Tage einem Umerziehungslager, in dem die zu Jahresbeginn aus dem Gefängnis entlassenen rund 120 000 Hutu-Mörder nun auf ihre Rückkehr in die Gesellschaft vorbereitet werden, schreibt die „Neue Zürcher Zeitung“. Zuvor müssen sie sich aber noch in ihren Dörfern Volksgerichten stellen und ihre Taten offen legen.

Mit den Präsidentschaftswahlen an diesem Montag und den Parlamentswahlen im September versucht die Tutsi-Regierung, dem De-facto-Einparteienstaat einen pluralistischen Anstrich zu geben. Nach dem Verbot der einzigen ernsthaften Oppositionspartei, der Mouvement democratique republicain (MDR), wegen angeblicher „Spaltungstendenzen“ – ein anderes Wort für Volksaufhetzung – kann man in Ruanda schwer von Demokratie und Meinungsvielfalt sprechen. Das Verbot der MDR überrascht umso mehr, als die von den Hutus dominierte Partei in den letzten Jahren an Ansehen gewonnen und das Land seit 1994 in einer großen Koalition mit den Tutsi regiert hatte. Zudem wurde selbst vielen moderaten Hutus eine Teilnahme an der Wahl untersagt. Besonders beunruhigend ist, dass der Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch zufolge seit Jahresbeginn mehrere bekannte Politiker die Flucht ergriffen haben oder verschwunden sind.

Trotz ihres autoritären Gebarens ist die politische Elite in Ruanda aber gewieft genug, das Wohlwollen der internationalen Gemeinschaft nicht zu verspielen. Sowohl die effiziente Regierungsführung als auch die Wirtschaftspoltik der Regierung gelten unter den westlichen Geberländern als mustergültig. Allein im vergangenen Jahr wuchs die Wirtschaft von Ruanda um zehn Prozent – ausgehend allerdings von einem sehr niedrigen Niveau.

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