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Kurzer Triumph. Antonio Di Pietro (rechts) von der oppositionellen Partei „Italien der Werte“ freut sich über den Erfolg der Kernkraftgegner. Allerdings zeigt sich Italiens Opposition nach der Niederlage des Regierungschefs Berlusconi gespalten. Foto: Alberto Pizzoli/AFP

© AFP

Politik: Herrscher ohne Volk

Berlusconis Niederlage zeigt: Selbst unter den treuesten Wählern des italienischen Regierungschefs macht sich Unmut breit

Es war eine harte Kost für Italiens Wähler. „Wollen Sie die Abschaffung von Ziffer 1 und 8 des Artikels 5 des Gesetzesdekrets vom 31.3.2011, in veränderter Form zum Gesetz umgewandelt am 26.5.2011 unter der Nummer 75?“ Durch vier Fragen dieser nicht sehr publikumsfreundlichen Art hatten sich die Teilnehmer an der Volksabstimmung am Sonntag und Montag durchkämpfen müssen. Und obwohl ihnen Ministerpräsident Silvio Berlusconi und der Rest der Regierung ein entspanntes Sonnenbad am Meer angeraten hatten, gingen trotz alledem 55 Prozent der Italiener wählen. Damit stellte sich die demokratische Waffe der Volksabstimmung, die bei stetig sinkender Beteiligung seit 16 Jahren wirkungslos war, auf einmal wieder als schlagkräftig heraus. Italiens Bürger hielten es offenbar für an der Zeit. Die Schlappe bei der Volksabstimmung war kurz nach den Kommunalwahlen bereits die zweite böse Überraschung für die Mitte-Rechts-Regierung.

Und Berlusconi? Vor zwei Wochen noch meinte er dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama vorjammern zu müssen, Italien stehe „unter der Diktatur linker Richter“. Jetzt hat Berlusconi seine wahren Richter gefunden: das Volk als Ganzes. Seit der Auszählung des Referendums gibt es für Italiens Regierungschef keine Ausrede mehr. Die propagandistische Grundkonstruktion seiner Macht ist zerstört. Nicht irgendwelche parteiischen Richter wollen ihm ans Leder, der demokratische Souverän höchstselbst hat Berlusconis Spielchen satt. Und gegen dieses Urteil gibt es keine Berufung.

Die Ergebnisse des Referendums zeigen, wie gewaltig der bisher verborgene Druck im Volk war. Aus innenpolitischer Sicht ist am bemerkenswertesten, dass 94,6 Prozent der Italiener ihrem Regierungschef die Möglichkeit entzogen haben, seinen privaten Gerichtsterminen davonzulaufen und sich damit selbst über Recht und Gesetz zu stellen. Selbst wenn „nur“ 55 Prozent der Bürger an der Volksabstimmung teilgenommen haben: Auf die Gesamtheit der 50 Millionen Wähler umgelegt, bedeutet das Ergebnis immer noch, dass eine absolute Mehrheit der Italiener den Regierungschef verurteilt. Und das sind beileibe nicht nur Anhänger der Opposition. 15 Millionen Bürger, die bei der Parlamentswahl im Jahr 2008 für Berlusconi gestimmt oder sich enthalten haben, sagen jetzt ein klares „Nein“.

Auf internationaler Ebene erregt unterdessen die italienische Ablehnung der Atomenergie mehr Aufsehen. Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima indes war dieses Ergebnis zu erwarten; Berlusconis politische Tricksereien haben die Quote des „Nein“ nur noch auf eine unerwartete Höhe getrieben, auf 94,1 Prozent. In der Energieplanung, von der Regierung trotz aller „Macher“- und „Reform“-Propaganda ohnehin viel zu lange verschleppt, steht Italien jetzt wieder ganz am Anfang.

Noch schwerer wiegt aber, dass Italien mit dieser Volksabstimmung auch gesamtpolitisch in ein Loch gefallen ist. Die Regierung, die noch zwei Jahre amtieren könnte, ist mit diesem vernichtenden Schlag praktisch handlungsunfähig geworden. Die schwere Niederlage verschärft die Spannungen zwischen Berlusconi und seinen Koalitionspartnern von der Lega Nord. Es reiche jetzt mit den „Ohrfeigen“, kommentierte die von Umberto Bossi geführte populistische Partei, die zusammen mit Berlusconis „Volk der Freiheit“ die Regierung in Rom bildet. Die Lega will eine Reihe von Forderungen für ein Weitermachen in der Regierung stellen.

Ihre Mehrheit im Parlament hält die Regierung nur noch durch – im Wortsinn – zugekaufte Überläufer. Berlusconis Partei ist in Auflösung begriffen, und die Massivität des „Nein“ im Referendum lässt nur den einen Schluss zu: Die Spaltung, der Unmut und die Enttäuschung sind tief in Berlusconis zentrale Wählerschichten eingedrungen. Der Herrscher hat den Kontakt zu seinem eigenen Volk verloren. Die Kraft der Verführung ist dahin. Berlusconi hat den geeigneten Zeitpunkt für einen geordneten Abgang verpasst. Trotzdem will er weitermachen. Das bedeutet, dass Italien als Europas drittgrößte Volkswirtschaft in der tiefen Wirtschaftskrise, aus der das Land noch nicht herausgekommen ist, praktisch ohne Regierung dasteht.

Doch genauso verheerend, wie das Referendum für Berlusconi war, so desaströs ist es der Zustand der Opposition für Italiens Demokratie. Zwar feierten die linke Opposition, Umweltschützer und Atomgegner ihren großen Sieg nachts auf der Piazza und auch im Internet. Und die römische Zeitung „La Repubblica“, mediale Anti-Berlusconi-Speerspitze, posaunte: „Die Zauberflöte ist zerbrochen, nach zwei Jahrzehnten weigern sich die Italiener, Berlusconis Musik zu folgen.“ Allerdings haben das kleine christdemokratische Zentrum und die zahlreichen Linken es versäumt, dem längst absehbaren Niedergang des Berlusconismus eine handlungsfähige politische Alternative gegenüberzustellen. Statt Geschlossenheit, statt klar formulierter Ziele, statt der Zulassung überzeugender politischer Talente bestimmen immer noch persönliche Eifersüchteleien und Flügelkämpfe das Bild der Opposition. Sie ist sich jetzt – und das grenzt an einen Offenbarungseid – noch nicht einmal darin einig, ob sie nun akut den Rücktritt Berlusconis verlangen oder ihn noch bis 2013 im eigenen Saft köcheln lassen soll. Einzig die Abneigung gegenüber Berlusconi hat die Linken bisher zusammengekittet. Nun, da das Volk ihn praktisch gestürzt hat, wissen sie mit sich selbst und dem Wählerwillen nichts anzufangen.

Berlusconi selbst kehrte am Tag nach der Niederlage zum Regierungsalltag zurück. Der 74-Jährige setzte am Dienstag eine Kabinettssitzung in seinem Regierungspalast an, um mit den Ministern „ausschließlich“ über ein neues Müllgesetz zu reden. Ebenfalls am Dienstag gab es in Mailand in Berlusconis Sexprozess um den Fall Ruby eine weitere Anhörung. Dabei legte die Anklage ihre konträre Sicht zu den 16 Einsprüchen der Berlusconi-Verteidiger dar. Das Gericht will dann im Juli über die Vorstöße der Verteidiger entscheiden. Dem Regierungschef werden Amtsmissbrauch und Sex mit minderjährigen Prostituierten vorgeworfen, den er mit der jungen Marokkanerin Ruby bei wilden „Bunga-Bunga-Festen“ gehabt haben soll. mit dpa

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