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Hessen: Druck vom Rand

Karriere in Hessen oder anderswo Tarek Al-Wazir gilt als grüner Spitzennachwuchs. In Niedersachsen könnten NPD und Linke über Wulffs Erfolg entscheiden.

Sie hängen sehr hoch, fast unerreichbar. Die Plakate der rechtsextremistischen NPD fallen im niedersächsischen Landtagswahlkampf durchaus auf. „Kriminelle Ausländer raus“ ist darauf zu lesen, oder: „Sozial geht nur national“. Hin und wieder zeigen sie einen Brillenträger mit leicht ergrauten Haaren – den 39-jährigen Spitzenkandidaten Andreas Molau.

In den Umfragen spielen die Rechtsradikalen keine Rolle. Aber das könnte täuschen. Der frühere Pädagoge Molau gilt längst bundesweit als Chefideologe der NPD, er ist einer der wichtigsten Leute neben dem Bundesvorsitzenden Udo Vogt. Molau hat in Niedersachsen hinbekommen, was jahrzehntelang unmöglich schien in der rechtsextremen Szene: Die Partei verbündet sich nicht nur mit der DVU, sondern auch mit den „freien Kameradschaften“, in denen teilweise Raufbolde aktiv sind, teilweise aber auch Gruppen, die sich als hilfsbereite Nachbarn anbieten und in lokalen Vereinen ehrenamtlich arbeiten. Die Landtagswahl wird zeigen, wie stark die vereinten Rechtsextremisten zu mobilisieren vermögen.

Der Burgfrieden im rechten Lager ist die eine Auffälligkeit, was die kleinen Parteien im niedersächsischen Wahlkampf anbelangt. Die andere betrifft die Linkspartei. Wochenlang war sie in den Umfragen bei drei oder vier Prozent gehandelt worden. Erst Mitte Januar dann kam eine überraschende Wende: Sowohl die Forschungsgruppe Wahlen als auch Infratest Dimap sprachen der Linken auf einmal fünf Prozentpunkte zu – damit also den Einzug in den Landtag. Die Linkspartei in Niedersachsen wird geprägt vom strategischen Geschick des schillernden Diether Dehm, Musikproduzent und früherer SPD-Politiker in Frankfurt. Er organisiert nicht nur den Wahlkampf, sondern hat auch die Flügel der Partei geeint, die Pragmatiker, enttäuschte frühere Sozialdemokraten und auch Mitglieder, die aus der alten DKP zur Linkspartei gestoßen sind.

Wenn die Linke am Wahltag Erfolg haben sollte, so brächte das die Mehrheitsverhältnisse tüchtig ins Trudeln: Ein Vorsprung von CDU und FDP, der gegenwärtig vorausgesagt wird, könnte dann plötzlich knapp werden. Da SPDund Grüne definitiv erklärt haben, nicht mit der Linken koalieren zu wollen, könnte ihr Erfolg ganz neue Perspektiven eröffnen - vielleicht eine Große Koalition oder ein Bündnis von CDU, FDP und Grünen.

Linke und NPD sind die beiden interessantesten der kleinen Parteien in Niedersachsen. Die meisten Schlagzeilen produziert allerdings eine andere Partei, die noch weitaus kleiner und unbedeutender ist – die „Friesen“. Dieses Grüppchen, das sich vor allem in Ostfriesland tummelt, hat zwar lediglich 75 Mitglieder, argumentiert aber damit, eine nationale Minderheit zu vertreten. Die „Friesen“ könnten deshalb – wie die Dänen in Schleswig-Holstein – von der Fünf-Prozent-Klausel befreit werden. Dann würden etwa 0,7 Prozent der Zweitstimmen für ein Landtagsmandat genügen.

Dafür müsste allerdings geklärt werden, ob friesisches Brauchtum wirklich eine Sonderstellung braucht. Plattdeutsch wird nicht nur in Emden und Leer, Wittmund und Aurich gesprochen, und die Friesen fristen auch kein abgeschottetes Kulturleben. In den etablierten Parteien sind sie sogar an der Spitze: Garrelt Duin ist SPD-Landeschef, Ulf Thiele ist CDU-Generalsekretär.

Berlin - Das Auge des Patriarchen ruht mit Wohlgefallen auf ihm: Als Joschka Fischer am vergangenen Montag in einer Art Blitzrückkehr sein politisches Rentnerdasein unterbrach, um in Wiesbaden zum Kampf gegen Ministerpräsident Roland Koch (CDU) zu trommeln, tat er dies auch Tarek Al-Wazir zuliebe. Für den Spitzenkandidaten der Grünen in Hessen, der bundesweit als Nachwuchshoffnung seiner Partei gilt, hielt sich die „Rampensau“ Fischer aber bewusst zurück, um auch dem Jüngeren Raum für rhetorische Entfaltung zu lassen.

Vom polarisierenden Wahlkampf des Ministerpräsidenten fühlt sich Al-Wazir persönlich getroffen – und verweigert ihm den Handschlag. Nach Kochs Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft 1999 forderten Ausländerfeinde den Sohn einer deutschen Lehrerin und eines Jemeniten auf, endlich nach Hause zu gehen. Kochs Kampagne gegen kriminelle Ausländer sieht Al-Wazir auf eben dieser Linie. Obwohl der Landesverband seit Fischers Zeiten von „Hardcore-Realos“ (wie in der Partei gespottet wird) dominiert wird, die auch beim Afghanistan-Einsatz keine Bauchschmerzen bekommen, haben die Grünen deshalb jede Regierungszusammenarbeit mit Kochs CDU nach der Wahl kategorisch ausgeschlossen. Das Ziel heißt Rot-Grün, und deshalb soll die Linke nicht in den Landtag kommen.

„Ein Umweltminister Al-Wazir wäre der lebendige Beweis dafür, dass die Grünen nicht unbedingt zum Ein-Generationen-Projekt verdammt sind“, sagt die „Zeit“ voraus. Tatsächlich würde die Führung der Grünen in Berlin eine rot-grüne Mehrheit in Wiesbaden als machtstrategischen Wiederaufstieg der rot-grünen Option werten. Weil diese Verbindung von jüngeren Politikern dominiert würde, wäre sie in den Augen der Bundes-Grünen etwas Neues und eben nicht nur eine Fortsetzung jener politischen Kultur, die 2005 abgewählt wurde.

Aber auch ein Verbleib der hessischen Grünen in der Opposition müsste den politischen Aufstieg Al-Wazirs nicht unbedingt bremsen – wenn er sich denn für eine neue Bühne entscheidet. Denn bei den Grünen ist der 37-Jährige auch außerhalb Hessens sehr beliebt. Im Parteirat, dem wichtigsten Entscheidungsgremium zwischen Parteitagen, mischt er schon mit. Hineingewählt wurde er mit dem besten Ergebnis aller Landespolitiker.

Manche Grüne bringen die Karrierechancen des Spitzenkandidaten auf eine einfache Formel: Falls die hessischen Wähler Tarek Al-Wazir am Sonntag nicht zum stellvertretenden hessischen Ministerpräsidenten machten, müsse der sein politisches Können eben als Bundesvorsitzender seiner Partei beweisen. Auch das wäre dann für die Grünen ein Zeichen, dass der Generationswechsel klappen kann. Hans Monath

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