zum Hauptinhalt
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier.

© dpa

Hessen: Ministerpräsident Bouffier wegen NSU-Skandal in Bedrängnis

Telefonprotokolle bringen den hessischen Verfassungsschutz im Skandal um die angeblich behinderte Aufklärung der Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Bedrängnis. Auch gegen Ministerpräsident Bouffier werden Vorwürfe laut.

Von Frank Jansen

Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) gerät in der NSU-Affäre heftig unter Druck. Dafür haben die Anwälte der Familie des mutmaßlichen NSU-Opfers Halit Yozgat im Münchner Prozess gesorgt. Sie beschuldigen den damaligen hessischen Innenminister und heutigen Ministerpräsidenten, die Ermittlungen persönlich behindert zu haben, und verlangen seine Zeugenvernehmung im Münchner Prozess. Als „Unverschämtheit“ wies Bouffier die Vorwürfe am Dienstag zurück; er habe stets nach Recht und Gesetz gehandelt und nichts zu verbergen.

Der 21-jährige Halit Yozgat war am 6. April 2006 in seinem Internetcafé in Kassel vermutlich vom NSU erschossen worden. Ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes war kurz vor oder während des Mordes am Tatort. In mehreren Beweisanträgen unterstellen die Anwälte dem hessischen Verfassungsschutz, vor dem Mord Kenntnis vom Tatplan, dem Täter und dem Opfer gehabt zu haben. Der Mord wäre danach zu verhindern gewesen.

Im Mittelpunkt der neuen Vorwürfe steht der ehemalige hessische Verfassungsschützer Andreas T. Dieser hat im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München bei seinen Auftritten als Zeuge immer dieselbe, kaum glaubhaft wirkende Geschichte erzählt. Er habe am Nachmittag des 6. April 2006 in dem Kasseler Internetcafé an einem Computer gesessen, im hinteren Raum. Von Schüssen auf den türkischstämmigen Betreiber Yozgat habe er nichts mitbekommen. Als er das Internetcafé verlassen und zahlen wollte, habe er am Tresen im vorderen Raum niemanden gesehen. Andreas T. will noch zur Tür hinausgeschaut haben, ob Yozgat sich draußen aufhielt. Dann habe er, beteuerte T., 50 Cent auf den Tresen gelegt und sei gegangen, ohne Yozgat gesehen zu haben.

In die Tat verstrickt

Andreas T. hatte sich kurz vor 17 Uhr bei einem Flirtchat ausgeloggt. Um 17.01 Uhr, so rekonstruierte es die Polizei, schossen die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auf Yozgat, der am Tresen saß. Dass der groß gewachsene Andreas T. die blutende Leiche hinter dem Tresen, der nur so hoch war wie ein Schreibtisch, übersehen haben könnte, erscheint nicht nachvollziehbar.

Ein Telefonprotokoll, das die Anwälte der Angehörigen Yozgats jetzt in einem Beweisantrag dem Oberlandesgericht München vorlegten, scheint die Vermutung zu stärken, dass T. nicht nur den Toten gesehen hat, sondern in die Tat verstrickt ist. „Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren“, äußerte der Geheimschutzbeauftragte des hessischen Verfassungsschutzes knapp fünf Wochen nach der Tat in einem Telefonat mit Andreas T. Der widerspricht nicht. Das Gespräch hatte die Polizei mitgeschnitten, da sie Andreas T. im Mordfall Yozgat für verdächtig hielt. Die Äußerung des Geheimschutzbeaufragten lässt nun vermuten, Andreas T. habe sich am Tattag in das Internetcafé begeben, weil er wusste, was dort passieren würde.

Die Fraktionsvorsitzenden der Wiesbadener Regierungsparteien CDU und Grüne, Michael Boddenberg und Mathias Wagner, nannten am Dienstag die neuen Vorwürfe gegen den hessischen Verfassungsschutz „ungeheuerlich“. Die Koalitionspartner, die den Mordfall Yozgat bislang als „ausermittelt“ bezeichnet hatten, versprachen jetzt eine vorgezogene Beratung im Landtagsuntersuchungsausschuss. Seit einem Jahr bearbeitet dieser die NSU-Affäre, bislang ohne konkrete Erkenntnisse. Zeugen wurden noch keine gehört, weil sich die Zustellung der notwendigen Akten seit Monaten hinzieht.

Die Mitglieder des hessischen Untersuchungsausschusses kennen die Abschriften der Tonbänder aus der Telefonüberwachung, die dem Tagesspiegel in Auszügen vorliegen, bislang nur aus den Medien. Entsprechend vorsichtig bleibt Bouffiers Koalitionspartner, die Grünen. Die Wortwahl der zitierten Verfassungsschützer allerdings sei „vollkommen unangemessen“, etwa wenn da statt Töten vom „Umdaddeln“ des Mordopfers die Rede sei, so der Obmann im Untersuchungsausschuss, der Grüne Jürgen Frömmrich.

Opposition attackiert Volker Bouffier

Die hessischen Oppositionsparteien SPD und Linke attackieren Bouffier umso schärfer, weil er sich persönlich in die Ermittlungen eingeschaltet hatte. Der damalige Innenminister hatte T. im Juli 2006 vor dem Landtagsinnenausschuss als „unschuldig“ bezeichnet, obwohl die Ermittlungsbehörden ihn damals noch als „dringend tatverdächtig“ führten. Bouffier täuschte die Abgeordneten zudem über den Zeitpunkt, an dem er selbst von dem Vorgang erfahren habe. Aus den jetzt öffentlich gewordenen Telefonabschriften geht außerdem hervor, dass er sich wohl persönlich um T.s Wohlergehen gekümmert hatte. Bouffiers Ministerium legte dem Beschuldigten T. nahe, von sich aus ein Disziplinarverfahren zu beantragen; er werde damit seine Bezüge „im Moment nach dem Willen des Ministers behalten“, so ein Vorgesetzter am Telefon.

Schließlich verhinderte Bouffier im Jahr 2006 die Vernehmung der von T. geführten V-Leute, darunter ein rechtsextremer Skinhead aus der gewalttätigen Szene.

Zu diesem Vorgang geht dann sein heutiger grüner Koalitionspartner doch auf Distanz. Es sei ihm nach wie vor unverständlich, auf welcher Rechtsgrundlage Bouffier diese Vernehmung verhindert habe, sagte der Grüne Frömmrich dem Tagesspiegel. Bouffier verteidigte diese Entscheidung am Dienstag erneut. Die Offenbarung von V-Leuten, die in der extremistischen und islamistischen Szene tätig gewesen seien, hätte dem Land geschadet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false