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Hessen: SPD schließt große Koalition nicht mehr aus

Aus Angst vor einem Wahldebakel: In der hessischen SPD wächst die Neigung zur großen Koalition. Auch die Union könnte es sich vorstellen - unter einer Bedingung.

Aus Furcht vor einem katastrophalen Ergebnis bei Neuwahlen wächst in der hessischen SPD offenbar die Bereitschaft, nun doch eine große Koalition mit der CDU von Ministerpräsident Roland Koch einzugehen. Führende Genossen schlossen ein solches Bündnis am Mittwoch nicht mehr aus. Sie gingen damit indirekt auch auf Distanz zur bisherigen Landes- und Fraktionsvorsitzenden Andrea Ypsilanti. Dass sie sich für eine Koalition mit der CDU zur Verfügung stellen könnte, gilt als unwahrscheinlich.

Die SPD-Bezirke Hessen Nord und Hessen Süd kamen am Mittwochnachmittag zu Krisensitzungen zusammen. Vor Beginn des Treffens der südhessischen SPD sagte deren stellvertretender Vorsitzender Thorsten Schäfer-Gümbel dem Tagesspiegel mit Blick auf eine mögliche große Koalition: „In unserer jetzigen Situation sollte man gar nichts ausschließen, sondern alle denkbaren Optionen in den nächsten 48 Stunden durchdeklinieren.“ Die Landespartei stehe „vor der Wahl zweier Übel“, fügte der SPD-Landtagsabgeordnete hinzu. „Und egal wie wir uns entscheiden, wird es schwierig.“

Während fast alle anderen Parteien lauthals nach Neuwahlen rufen, graut es den Sozialdemokraten vor einem Wahlkampf. Sie haben kein Geld, keine Helfer, und auch die Frage, wer sie in diesen Wahlkampf führen soll, ist noch nicht entschieden. Es gilt zwar bei vielen als sicher, dass Andrea Ypsilanti gerne auch noch ein drittes Mal antreten will. Aber an den Erfolg einer solchen Mission mag kaum jemand glauben.

Roland Koch, der geschäftsführende Ministerpräsident, würde gerne so schnell wie möglich wieder ordentlicher Ministerpräsident werden. Zwar hat er schon deutlich signalisiert, dass Neuwahlen immer wahrscheinlicher werden. Aber das Gesprächsangebot auch an die SPD bleibt bestehen. Es gibt aber Bedingungen: „Wenn es zu einem ernsthaften Gespräch kommen soll, halte ich das nur für zielführend, wenn die SPD bereit ist, Positionen zur Disposition zu stellen. Das fängt bei Frau Ypsilanti an“, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende Volker Bouffier der Deutschen Presse-Agentur dpa.Eine Entscheidung müsse vor der Landtagssitzung am 18. November fallen. Dann könnte sich der Landtag auflösen und binnen 60 Tagen müsste es Neuwahlen geben. Etliche Sozialdemokraten rechnen für diesen Fall mit einem verheerenden Ergebnis. Es wäre der Sturz in die Bedeutungslosigkeit, den viele in der Fraktion gerne verhindern wollen. Manchen erscheint die große Koalition da als kleineres Übel. Zwar wäre es ein schwieriger Weg – war die Hessen–SPD doch angetreten, Koch abzulösen. Einige Sozialdemokraten sagen aber: „So könnten wir wenigsten noch 50 Prozent unserer inhaltlichen Vorstellungen retten.“ Sie bauen darauf, dass auch Koch eine Art Restrisiko bei Neuwahlen sieht. Denn unumstritten ist er in Hessen trotz der katastrophalen Lage der hessischen SPD nicht. Die SPD könnte massiv Stimmen verlieren, die aber nicht zwangsläufig zur Union gehen, sondern im linken Lager bei Grünen und Linkspartei bleiben könnten.

Aber eines ist den Sozialdemokraten auch klar: Andrea Ypsilanti kann die hessische SPD kaum in eine solche Konstellation führen. Den Übergang organisieren, das sei noch denkbar, heißt es. „In allererster Linie wird Andrea Ypsilanti selbst darüber entscheiden, wie es auch für sie persönlich weitergeht“, sagt Gernot Grumbach, Chef der südhessischen SPD. Auch der Ypsilanti-Vertraute mag eine große Koalition nicht mehr definitiv ausschließen: „Wir haben noch keine Entscheidung darüber getroffen, wie es weitergeht und können deshalb auch noch keine Optionen ausschließen. Wir werden in unseren Gremien in Ruhe überlegen, welcher Weg wohin führt.“

Doch wenn die SPD ernsthaft diesen Weg einschlagen will, muss es schnell gehen. Mitglieder der hessischen SPD sprechen von einem Zeitfenster von wenigen Tagen. Doch nicht nur die Personalie Ypsilanti könnte den Weg in eine große Koalition verhindern, weil nicht alle davon überzeugt sind, dass die Beinahe-Ministerpräsidentin freiwillig geht. Auch die Stimmung an der SPD-Basis ist eine andere. Eine große Koalition ist dort schwer zu vermitteln, weil die Genossen schon genug gelitten haben in den vergangenen Wochen. Neuwahlen allein versprechen noch keine Besserung.

Die hessischen SPD-Funktionäre werden deshalb in dieser Woche von Sitzung zu Sitzung eilen. Viel Selbstkritik war bisher nicht zu hören von der Parteispitze, aber ein wenig Bewegung gibt es: „Natürlich müssen wir uns auch fragen, warum ist das Ganze passiert, was hätte es für Einwirkungs- und Handlungsmöglichkeiten gegeben. Aber ehrlich gesagt, es gab vorher überhaupt keine Andeutungen, dass diese drei den Weg nicht mitgehen würden. Ganz im Gegenteil. Die Äußerungen gingen in eine andere Richtung“, sagte Grumbach.

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