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Politik: „Hier wird nichts besser“

Scheitert Polens EU-Beitritt an geringer Wahlbeteiligung?

Die leeren Sitzbänke machen Ryszard Kumelski richtig Sorgen. Der Bürgermeister der nordpolnischen Kleinstadt Nidzica steht im Burghof und hofft, dass doch noch mehr Leute zum „Bürgerdialog mit Politprominenz“ über den EU-Beitritt Polens kommen. Zum Glück werden dann ganz schnell noch Schüler auf die leeren Plätze gesetzt. Das sieht wenigstens auf den ersten Blick nach etwas aus. Den meisten Leuten sei eben die Volksabstimmung über den EU-Beitritt am Sonntag völlig egal, sagt ein 67-jähriger Rentner. Die Wahlbeteiligung pflege in Nidzica ohnehin 30 Prozent selten zu übersteigen: „Dies ist eine Stadt der Armut und der Arbeitslosen.“ Auch er habe die Hoffnung auf bessere Zeiten verloren: „Hier wird nichts besser, sondern nur noch schlechter.“

Europa zieht offenbar bei den Polen nicht. Dabei waren sie es, die als Erste im Lager der sozialistischen Bruderstaaten gegen die Parteidiktatur rebellierten und damit den Weg zu Perestroika, Mauerfall und der bevorstehenden EU-Erweiterung ebneten. Doch die frühere Europa-Begeisterung ist längst der Ernüchterung gewichen. Der mühsame Umbau der Wirtschaft, eine Arbeitslosigkeit von 20 Prozent und eine Kette von Polit-Skandalen haben das Gefühl der Machtlosigkeit im Land vergrößert. Wie andere Kommunen im strukturschwachen Masuren hat auch Nidzica unter dem Zusammenbruch der Kolchosen nach der Wende 1989 gelitten. Betriebe von außerhalb sind kaum zu einer Ansiedlung zu bewegen. Wunderdinge erwartet Bürgermeister Kumelski von der EU-Mitgliedschaft nicht. Aber er glaubt, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen: „Wir haben keinen anderen Ausweg. Nach sieben mageren Jahren müssen sieben fettere folgen.“

Doch auch die EU-Gegner haben Mühe, ihre Wahlklientel zu mobilisieren. „Polen braucht Europa“, mit diesen Worten hat der Papst eine Wahlempfehlung für den Beitritt gegeben – und die rechtsklerikalen EU-Gegner im Dunstkreis der „Liga der polnischen Familien“ (LPR) in erhebliche Argumentationsnöte gebracht. Der Papst führe den Vatikan ja auch nicht in die EU, sucht LPR-Chef Roman Giertych dessen Botschaft zu entkräften.

Lieber weniger, als keine EU-Subventionen: Auch in Nidzica scheint manch europa-skeptischer Landwirt sich zähneknirschend zu einem Ja zum Beitritt durchzuringen. Glaubt man den Umfragen, gibt es am Sieg der Befürworter kaum mehr Zweifel. Fraglich bleibt dagegen, ob die für die Gültigkeit der Volksabstimmung nötige Beteiligung von 50 Prozent überhaupt erreicht werden kann: Bei Test-Wahlen in zwei Kleinstädten lag sie unter 30 Prozent. Warschau hat angekündigt, den Beitritt notfalls mit einer Zweidrittelmehrheit abzusegnen.

Thomas Roser[Nidizica]

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