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Higgs-Teilchen entdeckt: Was die Welt zusammenhält

Woher kriegen Elementarteilchen ihre Masse? Diese Frage hat Physiker über Generationen beschäftigt. Peter Higgs fand eine Lösung. Aber nur in der Theorie. Nun ist Wissenschaftlern am Teilchenbeschleuniger in Genf offenkundig der Beweis gelungen. Der Bauplan des Universums ist uns ein Stück bekannter.

Warum sie es aber auch so verdammt schwer machen müssen. Nach einer Dreiviertelstunde und Dutzenden Folien voller kryptischer Zeichen und Diagramme sagt Fabiola Gianotti, eine schlanke Frau mit langen schwarzen Haaren, die in Wellen auf ihre Schultern fallen: „Wir haben in unseren Daten Hinweise auf ein neues Teilchen gefunden mit einer Masse um 126 Gigaelektronenvolt.“ Das Signal, fährt die Wissenschaftlerin fort, habe eine Signifikanz von fünf Sigma und es müssten weitere Daten gesammelt werden, um die Natur des Teilchens genauer zu erkunden.

Aber das ist dann schon der Teil der Botschaft, der in solchen Fällen immer kommt und der das Publikum in einem voll besetzten Hörsaal auf dem Gelände des Cern nicht mehr ganz so brennend interessiert. Alle denken:

Wir haben das Higgs-Teilchen entdeckt!

Und der alte weißhaarige Herr, von dem das Teilchen seinen Namen hat, Peter Higgs, er sitzt da, applaudiert zaghaft und hat Tränen in den Augen. „Es ist unglaublich, dass das noch zu meinen Lebzeiten passiert“, sagt er später.

Es ist jenes Elementarteilchen, das bisher nur in Theorien existierte, das der fehlende Baustein im Standardmodell der Teilchenphysik sein sollte, einer Art Bauanleitung für unsere Welt, unser Universum, unsere Existenz. Jenes Elementarteilchen, das sich dank des Titels „Gottesteilchen“ einer für Grundlagenforschung unerhörten öffentlichen Aufmerksamkeit erfreute.

Eine Maschine wurde gebaut, die unter anderem zum Ziel hatte, das Teilchen zu finden, eine riesige Apparatur, wie sie die Menschheit zuvor noch nicht erschaffen hatte. Ein 27 Kilometer langer Ring tief unter der Erde, dessen Konstruktion sechs Milliarden Euro verschlang. Der Large Hadron Collider (LHC) am europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf sollte die „Higgs-Falle“ werden.

Die Suche nach dem Teilchen begann bereits vor einem halben Jahrhundert. Schon damals arbeiteten die Physiker an einer umfassenden Theorie, die beschreiben sollte, welche Elementarteilchen es gibt und wie diese miteinander reagieren. Standardmodell der Teilchenphysik nennen sie es. Die Formeln erklären zum Beispiel die schwache Wechselwirkung, ohne die es keinen radioaktiven Zerfall von Atomen gäbe und keine Kernfusion, wie sie in unserer Sonne fortwährend abläuft und uns Licht und Wärme, mithin das Leben schenkt.

Anfang der 60er Jahre hatte dieses Standardmodel aber einen gravierenden Fehler. Es konnte nicht erklären, warum Elementarteilchen eine Masse haben. Wären sie tatsächlich masselos, würden alle mit Lichtgeschwindigkeit durchs Universum flitzen und es könnten sich keine Atome bilden. Das Leben, wie wir es kennen, wäre unmöglich.

Sie müssen eine Masse haben, doch woher kommt sie? Der schottische Physiker Peter Higgs und einige Kollegen hatten eine revolutionäre Idee. Seiner Theorie, die er 1964 veröffentlichte, zufolge ist das gesamte Universum von einem besonderen Feld durchzogen, in dem sich die Teilchen verfangen und abgebremst werden. Je stärker die Teilchen mit diesem Higgs-Feld reagieren, umso größer ist die Masse, mit der sie dabei „aufgeladen“ werden.

Die Theorie war die Rettung des Standardmodells.

Aber stimmt die Theorie auch?

Vor ein paar Monaten hatte Rolf Landua auf diese Frage noch keine Antwort. „Wir wollen uns hier“, und seine rechte Handkante schnitt vor seinem Gesicht durch die Luft, „ganz nahe an den Urknall herandenken.“ Landua, geboren 1954 in Wiesbaden, früh schon entzündet von großen Fragen, wippte in seinem Bürostuhl aus abgewetztem Kunstleder und nippte an einer Cola-Flasche. Der Physiker empfing in seinem Büro R030, ein schmaler Raum, erhellt von einer Neonröhre, am Fenster baumelte ein kleiner Plastik-Einstein. Der Urknall, wozu? „Um zu wissen.“ Aber wer braucht das? Rolf Landua stellte die Cola auf den Schreibtisch, drehte seine Handflächen nach oben. „Die einzig legitime Rechtfertigung für unser Forschen hier ist die Neugier.“

Das klang sehr egoistisch. Aber das war es nicht. Vielmehr ging es um Antworten auf zentrale Fragen. Was ist der Ursprung unserer Welt? Was ist Materie? Aus was sind wir? Aus was ist alles, Elefanten, Schnee, Birken, Strumpfhosen, Bananen, Luft? Was geschah beim Urknall, jenem Ereignis vor geschätzten 13 700 Millionen Jahren, ohne das nichts wäre, kein Geld, keine Stadt, keine Liebe, kein Hass, weder Musik noch Rolf Landua, weder Einstein noch Sex, weder Leben noch Tod.

Die Frage nach dem Grund für alles Werden und Vergehen und ob nur ein Gott hinter all dem stecken kann, wird auch am Cern wohl nie jemand beantworten können. Dennoch, sagte Landua, hielten es die meisten von denen, die dort arbeiten, mit dem griechischen Philosophen Demokrit. Der soll gesagt haben, lieber wolle er ein Naturgesetz entdecken, als König von Persien werden.

Am Cern weiß man viel über den Aufbau der Materie, aber mehr noch von der Besessenheit des Wissenwollens. So soll vor Jahren, hält sich das Gerücht, jemand über seinen Formeln zu essen vergessen haben und schließlich an Skorbut gestorben sein. „Naja“, sagte Landua, „was wäre die Welt ohne Legenden.“ Obwohl bei vielen hier schon Matratzen lägen neben den Schreibtischen.

Seit seiner Gründung im Jahre 1954, der Neutralität wegen auf Schweizer Boden, ist das Kernforschungszentrum ein Weltlabor der besten Teilchenphysiker. Auf sechs Quadratkilometern erstreckt sich das Gelände am Fuße des Juragebirges, eingefasst von einem hohen Zaun, ein Teil von ihm ragt auch auf französischen Boden, deklariert als exterritoriales Gebiet.

Äußerlich ist das Cern ein Gewirr aus 670 Gebäuden, verbunden über Straßen, die nach verstorbenen Größen der Physik benannt sind: Route M. Curie, Route A. Einstein, Route M. Faraday. Es gibt vier Restaurants und drei Hotels, einen Hubschrauberlandeplatz, ein kleines Krankenhaus, eine Bank, einen Kindergarten, ein Reisebüro, eine Krankenversicherung und eine Post. Und alles dreht sich hier um Atome und den leeren Raum, aus dem sie vor allem bestehen.

„Wir sind“, sagte Rolf Landua, „physikalisch gesehen zu neunundneunzig komma Periode neun Prozent leerer Raum.“ Eine Hülle mit nichts drin. Masse habe allein der Kern eines Atoms, und der sei winzig. Wäre ein Atom so groß wie ein Sportstadion, würde der Atomkern einer Erbse in der Mitte des Rasens entsprechen. „Bon“, sagte Landua, der manchmal ins Französische kippte, „das geht jetzt vielleicht ein bisschen zu schnell.“ Aber um Tempo geht es ja. Um zu beweisen, woher die Masse der Elementarteilchen kommt, wollten sie hier das ominöse Higgs-Feld nachweisen, mit einem Experiment.

Mit riesigen Beschleunigern wurden winzige Teilchen auf wahnsinniges Tempo gebracht und aufeinandergehetzt, damit sie kollidieren. In den Trümmern dieser Crashs, so hofften die Forscher, würden sie Hinweise auf das Higgs-Teilchen finden.

Warum das zunächst nicht gelang

Es gelang nicht - nicht mit den Apparaten, die man man damals hatte. Das „Gottesteilchen“ blieb unauffindbar, das seinen Namen ohnehin einem Zufall verdankte. Ein „gottverdammtes Teilchen“ hatte es der Physiknobelpreisträger Leon Lederman 1993 in einem Buch über die aufreibende Suche genannt. Diesen Ausdruck habe sein Verleger aber nicht akzeptiert, sagte Lederman später. Gottesteilchen jedoch war in Ordnung, und so hieß dann auch das Buch: „The God Particle“.

Die metaphysische Aufladung half dem Buch, sich zu verkaufen, vor allem aber leistete sie all den Forschern einen guten Dienst, die dem Higgs-Boson, wie das Teilchen bis dahin geheißen hatte, nachstellten. Die Öffentlichkeit interessierte sich plötzlich für das, was sie taten. Wann immer es Neuigkeiten rund um das „göttliche Teilchen“ gab, sie verbreiteten sich rasch. Gefunden wurde das Higgs aber nicht, auch nicht an anderen Beschleunigern wie dem Tevatron in den USA.

Das machte erst der LHC möglich, das größer, komplexer ist. Vor zwei Jahren ging er endlich in den Forschungsbetrieb. In der Mitte dieses Ringtunnels verlaufen zwei enge Röhren. Durch die Protonen geschossen werden. 300 Billionen davon durch die eine Röhre, links herum, 300 Billionen durch die andere, rechts herum. Die winzigen Teilchen werden beschleunigt auf 99,9999991 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Übersetzt in menschliches Verständnis: 299 792 Kilometer pro Sekunde. Wie ein Schwarm miniaturisierter Sardinen bilden sie dabei einen winzigen Strahl, dünner als ein menschliches Haar.

Zur Kollision der Protonen, dem eigentlichen Experiment, kommt es dann an vier Stellen des Rings. Immer jeweils dort, wo sich der Tunnel zu Kavernen weitet, in denen, 25 Meter hoch und 40 Meter lang, so genannte Detektoren stehen, schwer wie der Eiffelturm jeder.

Trotzdem entstehe, erzählte Landua, bei jedem Zusammenprall nur eine Kollisionsenergie, als ob zwei Mücken gegeneinander flögen. Weil das aber auf solch winzigem Raum geschehe, entstünden Temperaturen, die um ein Vielfaches höher sind als im Innern der Sonne. Es ist, sagt Landua, als ob man einer abgeschwächten Version des Urknalls durch ein Schlüsselloch zuschaue.

Gewaltige Mengen an Daten wurden gesammelt. Es gab Hoffnungen, die wieder zerstoben. Wenn es kein Higgs-Teilchen gibt, die Theorie also falsch ist, so waren die Forscher sicher, dann würden sie das Ende dieses Jahres wissen. Manch einem wäre das sogar lieber gewesen. Es sei spannender, etwas Unerwartetes zu finden als eine Theorie zu bestätigen.

Der Vorgang liegt 13,7 Milliarden Jahre zurück, was sollte man da jetzt zur Eile treiben. Trotzdem ging es plötzlich ziemlich schnell. Im Internet verbreitete sich schon vor Monaten der mögliche Durchbruch in Sachen „Gottesteilchen“. So mussten die führenden Köpfe am Cern nun reagieren. Sie waren hin- und hergerissen. Einerseits hatte der LHC eine Fülle neuer Daten geliefert, die wirklich handfeste Hinweise auf ein neues Teilchen enthielten.

Andererseits herrschte Angst vor einem erneuten Reinfall. Den hatte man mit den angeblich überlichtschnellen Neutrinos erlebt. Im September 2011 hatten ebenfalls Cern-Physiker berichtet, dass sie im sogenannten „Opera“-Experiment festgestellt hätten, dass diese andere Art von Elementarteilchen schneller als das Licht unterwegs sei. Eine Sensation, zunächst. Bis sie sich als Messfehler entpuppte. Beim Higgs-Teilchen sollte nicht noch einmal vorschnell ein Durchbruch verkündet werden.

Am gestrigen Mittwoch nun traten die Chefs der beiden großen Experimentanlagen „Alice“ und „CMS“ vor die Fach- und Weltöffentlichkeit und stellten die aktuellsten Resultate ihrer Suche nach dem Higgs-Teilchen vor. Die Teams von „Alice“ und „CMS“ hatten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen geleistet. Zwischen ihnen herrscht starke Konkurrenz. Das Ziel: Wer findet das verdammte Teilchen zuerst?

Gewonnen hat niemand, jedenfalls spielt der kleine Vorsprung des einen Teams keine große Rolle, als Joe Incandela, Sprecher der dreieinhalbtausend Forscher, die am CMS-Detektor arbeiten, gestern im Cern-Hörsaal den Anfang macht. Hundert Folien umfasst seine Präsentation, gespickt mit Formeln, Herleitungen, Grafiken. Sie fassen den Vorgang etwa so zusammen: Bei den Kollisionen der Protonen wird so viel Energie frei, dass neben den bekannten Elementarteilchen auch Higgs-Teilchen entstehen könnten. Es sind nur wenige.

Rechnet man mit nahezu einer Milliarde Kollisionen in jeder Sekunde, dann würde es etwa eine Stunde dauern, bis ein Higgs-Teilchen entsteht, das von den Detektoren überhaupt erkannt werden kann. Das große Problem besteht darin, dass die Higgs-Teilchen nur für extrem kurze Zeit stabil sind und bald in andere Teilchen zerfallen, zu Photonen etwa. Allerdings entstehen diese vermeintlichen Higgs-Trümmer auch durch andere physikalischen Prozesse infolge der Protonenkollisionen – und keines trägt ein Fähnchen auf dem steht, woher es kommt.

Um ihre Herkunft dennoch zu entschlüsseln, rechnen die Physiker beispielsweise aus, wie viele Photonen bei den Kollisionen entstehen sollten, und zwar ohne, dass es ein Higgs gibt. Dann schauen sie ihre tatsächlichen Photonen-Daten an. Gibt es ein paar mehr, als da sein dürften, wäre das ein starker Hinweis darauf, die Reste des ominösen Teilchens eingefangen zu haben.

Die Photonen sind nur ein „Zerfallskanal“, wie die Physiker sagen. Es gibt noch mehr, etwa die Z-Bosonen, aber auch W-Bosonen oder Tau-Leptonen. Welchen Zerfallskanal das Higgs nimmt, hängt von seiner Masse ab – und die ist nicht bekannt. Also suchen die Forscher in vielen Kanälen zugleich. Ende 2011 hatten die Forscher über diese Methode den Massebereich des Higgs auf etwa 125 Gigaelektronenvolt eingegrenzt, das ist etwa die 132-fache Masse eines Atomkerns von Wasserstoff.

Aber sie waren sich noch nicht sicher, ob dieses Signal tatsächlich dem Higgs entstammte oder nicht doch Folge einer zufälligen Schwankung war – schließlich gleichen die Kollisionen einem Feuerwerk, bei dem die verschiedensten Teilchen entstehen.

Je mehr Daten vorhanden sind, umso größer ist die Chance, eine zufällige Häufung von Photonen auszuschließen. Darum geht es den Physikern. Ihre Forderung ist enorm: Die Wahrscheinlichkeit eines Zufallsbefundes muss kleiner sein als eins zu 1,7 Millionen. Fünf Sigma, sagen Statistiker dazu. Erst dann, so haben sie vereinbart, kann man von einer Entdeckung sprechen.

50 Minuten spricht Joe Incandela nun schon. Peter Higgs, der geistige Vater des gesuchten Teilchens, sitzt im Auditorium und folgt den Ausführungen aufmerksam. Dann lässt der CMS-Chef Folie 103 an die Leinwand werfen. „Wir haben“, steht da, „ein neues Teilchen gefunden, das eine Masse von 125,3 Gigaelektronenvolt hat“ Eine Zeile weiter: 4,9 Sigma. Stürmischer Applaus. Strenggenommen ist das noch keine Entdeckung.

Aber nun spricht Fabiola Gianotti, stellvertretend für alle Forscher, die am „Atlas“-Detektor beteiligt sind. Auch sie hat Folien und Grafiken mitgebracht. Ihr Detektor ist etwas anders aufgebaut, sammelt aber ebenfalls die Bruchstücke der Kollisionen ein. Das ist der Sinn dieses Wettbewerbs, dass er das Ergebnis sicherer macht.

Als Fabiola Gianotti ihre Schlussfolie auflegt, stehen dort zwei Zahlen: 126,5 Gigaelektronenvolt. 5,0 Sigma. Applaus, Klatschen, Johlen, Peter Higgs zu Tränen gerührt. Ein neues Teilchen wurde gefunden. Aber ist es das Higgs?

Rolf Heuer ist zwar Physiker, aber vor allem Chef des Cern. Er weiß, wann er seine Fachsprache aufgeben muss, um die Öffentlichkeit für seine teure Maschine zu begeistern. „Wir haben ein Teilchen gefunden, das konsistent mit dem Higgs-Boson ist“, fasst er zusammen. Übersetzt in die Sprache eines Laien würde er sagen: „Wir haben es.“

Das könnte jetzt der Schlusssatz sein.

Tatsächlich geht es nun aber erst richtig los. Mit weiteren Experimenten wollen die Physiker das Higgs-Teilchen und seine Eigenschaften genauer erkunden. Diese Informationen wiederum helfen ihnen, das Theoriegebäude der Physik weiter zu verbessern. Denn jede Theorie ist nur so gut, wie ihre praktischen Belege.

Vor allem jedoch besteht jetzt die Chance, dass das Sechs-Milliarden-Euro-Experiment nicht nur auf seine Rolle als „Higgs-Falle“ reduziert bleibt, sondern als universelles Forschungswerkzeug wahrgenommen wird. Das hoffen zumindest Wissenschaftler wie Sandra Kortner vom „Atlas“- Team. „Am LHC werden auch andere Teilchen erforscht, zum Beispiel versuchen wir die Masse des Top-Quarks genauer zu bestimmen“, sagt sie. Auch hier gilt: Je präziser die Messdaten, umso präziser kann die Theorie formuliert werden. Wobei man sich klar machen müsse, sagt die Physikerin, dass das Standardmodell der Teilchenphysik seine Grenzen habe. „Die Gravitation zum Beispiel kann es nicht erklären.“

Darum brüten Physiker längst an neuen Modellen, die diese Lücken schließen, Spezialisten wie Rolf Landua. Wegen seines Spezialgebietes gelangte der Physiker Rolf Landua schon einmal zu gewissem Ruhm. Er diente Dan Brown als Vorbild für eine Nebenfigur in dessen Bestseller „Illuminati“. In dem Buch wollen Kriminelle den Vatikan mit hochexplosiver Antimaterie erpressen, um einigen Würdenträgern zur Kardinalswahl zu verhelfen. Und mit Antimaterie kennt Landua sich aus. Im Buch schaffte er es deshalb auch nur bis Seite 15. Dann wurde er grausam ermordet. „Er roch brennendes Fleisch und es war sein eigenes. Um Gottes Willen, nein, schrie er auf. Aber es war zu spät.“

Das sei in Ordnung gewesen, sagte Landua in seinem Büro und lachte auf. Seinen „schönsten Moment" hatte er vor sieben Jahren als Leiter des „Athena-Experiments“ erlebt. Da war ihm mit einem Team von dreißig Wissenschaftlern gelungen, ein Billiardstel Gramm Antimaterie herzustellen. Er war damit dem dritten großen Rätsel der Elementarphysik etwas näher gekommen. Was genau Antimaterie ist? "Wenn sich, wie etwa beim Urknall geschehen, Energie in Masse verwandelt,“ sagte Landua an jenem Tag in seinem Genfer Büro, „entsteht mit jedem Teilchen gleichzeitig auch sein spiegelbildliches Teilchen mit entgegen gesetzter elektrischer Ladung.“ Leider sei die Antimaterie keine Freundin der Materie, sie brächten einander um. Warum dann die Schlacht nicht dazu geführt hat, dass sie sich beim Urknall gegenseitig aufgehoben haben und nichts mehr übrig geblieben ist? "Das fragen wir uns auch", sagte Landua, als stünde er immer noch am Anfang. "Es muss da eine Art Knacks gegeben haben. Einen Symmetriebruch.“

Ein Knacks? Für jenes Milliardstel mehr an Materie als es Antimaterie gab, den winzigen Überschuss, aus dem wir Menschen, unsere Erde, ja das gesamte sichtbare Universum gemacht sind? Während Rolf Landua immer weiter erzählte, wurde rasch klar: Von einer alles erklärenden Weltformel werden wir sehr weit entfernt sein.

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