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Fast 15 Milliarden Euro geben Länder und Kommunen für die Eingliederungshilfe, darunter Behindertenwerkstätten, aus.

© dpa

Hilfen für Behinderte: Erfreulich, aber undeutlich

Schwarz-Rot will die Kommunen bei der Eingliederungshilfe für Behinderte um fünf Milliarden Euro entlasten – der Weg dorthin dürfte allerdings ziemlich holprig werden.

Berlin - Die Kommunen sind zufrieden. Was Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart haben, entspricht auf den ersten Blick den Wünschen von Städten, Gemeinden und Landkreisen. Schwarz-Rot will ihnen finanziell entgegenkommen. Nicht zuletzt bei der Eingliederungshilfe für Behinderte. Die machte 2011 immerhin 14,4 Milliarden Euro im Jahr aus – Tendenz steigend. Dahinter stehen meist individuell zugeschnittene Sachleistungen für die etwa 700 000 Menschen, die körperlich, geistig oder psychisch so stark behindert sind, dass sie nur sehr eingeschränkt am Arbeits- und Sozialleben teilhaben können. Es geht um medizinische Hilfe, Unterbringung, Ausbildungsförderung, Pflege, Unterhaltssicherung.

Nun steht im Koalitionsvertrag, dass der Bund einen Teil der Eingliederungshilfe übernimmt. Und zwar fünf Milliarden Euro im Rahmen eines noch zu erstellenden Bundesteilhabegesetzes. Bis das Gesetz kommt, soll zunächst pauschal eine Milliarde Euro im Jahr den Kommunen zugute kommen. „Eine erfreuliche Nachricht“, sagte der Präsident des Landkreistags, Hans Jörg Duppré. Auch Städtetagspräsident Ulrich Maly, Oberbürgermeister in Nürnberg, zeigte sich erfreut, dass Schwarz-Rot die Kommunen stärken wolle. Freilich zeigt der Blick in den Koalitionsvertrag, dass die Vereinbarung vorerst nicht mehr ist als eine Absichtserklärung. Und bei den schon seit einiger Zeit laufenden Bemühungen aller Ebenen, bei der Eingliederungshilfe zu einer Neuverteilung der Lasten zu kommen, hat der Bund sich zuletzt „nur noch tot gestellt“, wie es in Kommunalkreisen heißt.

Zwar ist nun der Umfang einer künftigen Bundeshilfe klar, nicht aber deren Form, von genaueren Modalitäten ganz zu schweigen. Und auch der Zeitrahmen fehlt. Für das Gesetz und damit für die Fünfmilliardenhilfe wird kein Termin genannt. Die Grünen sticheln schon und wollen wissen, dass es vor der nächsten Bundestagswahl nichts werden wird mit der Entlastung der Kommunen. Intern sind die schwarz- roten Verhandler wohl davon ausgegangen, dass das Gesetz 2016 steht, doch in den Vertrag haben sie es nicht geschrieben. Und eine mögliche Lösung, nämlich ein pauschales Teilhabegeld des Bundes an Behinderte (also eine indirekte Entlastung der Kommunen, die dann weniger aufbringen müssten), ist nur als „Prüfauftrag“ in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden.

Die Materie ist zudem ziemlich vertrackt. Das beginnt schon damit, dass die Regelungen und Zuständigkeiten in den Ländern bislang unterschiedlich sind und möglicherweise zusammengeführt werden müssten. In Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und im Saarland ist die Eingliederungshilfe gar keine reine Kommunalleistung, hier zahlt allein oder vor allem das Land. In anderen Ländern gibt es Umlageverfahren. Nur die Städte und Kreise in Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen würden durch eine Bundeshilfe unmittelbar entlastet.

Zudem schwankt die Höhe der Eingliederungshilfe zwischen den Ländern stark. Im Schnitt sind es 180 Euro je Einwohner im Jahr, aber Bremen liegt bei 303 Euro, Berlin bei 188 Euro und Sachsen bei 116 Euro. Je nach Verteilungsschlüssel könnten also Kommunen, die bisher gut wirtschaften, am Ende relativ wenig von einer Bundeshilfe haben.

Kompliziert dürfte es werden, wenn das Thema in die Verhandlungsmühle zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen gerät. Genau das wird auf Seite 111 des Koalitionsvertrags aber angedeutet. Diese Verhandlungen dürften sich mindestens bis Mitte 2016 hinziehen, so dass vor 2017 nicht mit einer Neuordnung der Behindertenförderung zu rechnen wäre.

Dazu kommt, dass das in Aussicht gestellte Bundesteilhabegesetz weitaus mehr umfassen soll als nur die Entlastung der Kommunen. Bundestag und Bundesrat müssen ein modernisiertes Teilhaberecht unter Einschluss der UN-Behindertenrechtskonvention angehen, und das wird zu einem langen Gesetzgebungsverfahren führen. Den Behindertenverbänden gibt das die einzigartige Chance, ihre Anliegen auf nationaler Ebene vorzubringen. Und dazu gehören natürlich materielle Leistungsverbesserungen. Dann geht es erst recht um mehr Geld. Der Bund übernimmt freilich seit Jahren schon immer mehr Sozialleistungen, die ursprünglich Länder- oder Kommunalsache waren – zuletzt die Grundsicherung im Alter. Wird die Sache aber für den Bund teurer als jetzt absehbar, dann gerät das Thema irgendwann in die Debatte darum, was ohne Steuererhöhungen möglich ist. Kurzum: Trotz allen vorweihnachtlichen Frohlockens können sich die Kommunen vorläufig nur sicher sein, dass sie um eine Milliarde Euro entlastet werden.

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