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Bei der „Zeit“-Matinee im Schillertheater sprach Hillary Clinton, unvermeidlich, von der Bedeutung der Frisur im Leben weiblicher Politiker.

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Hillary Clinton in Berlin: Wahlkampf wider Willen

Seit Jahren ist sie eine wandelnde Möglichkeit. Sie könnte die erste Präsidentin der USA werden. Nach Berlin kam Hillary Clinton privat, als Buchautorin. Weltpolitik wird bei ihr zu tausend Anekdoten. Und doch wollen alle nur das eine wissen.

In Minute zehn des Gesprächs im Schillertheater, hat sie selbst das Thema wieder hervorgekitzelt, über das dauernd reden zu müssen sie sich so gerne beschwert. Ja, das war wirklich eine harte Entscheidung, ob sie Bill heiraten sollte oder nicht. Zwei Mal hatte sie ihm bereits abgesagt. Dann sagte er: Ich frage dich erst wieder, wenn du bereit bist, ja zu sagen.

Ach, sagt sie, so sei das mit ihr. Bei den wirklich wichtigen Fragen. Auch Barack Obama habe sie zwei Mal abgesagt, als der sie fragte, ob sie nicht Außenministerin der USA werden wolle. Bis ein Mitarbeiter ihr sagte, er stelle ihren Anruf erst durch, wenn sie zu einem Ja bereit wäre.

Bekanntlich wurde Hillary Clinton dann doch Außenministerin im Kabinett ihres einstigen Rivalen. Auch wenn sie nein sagt, ist also noch ein spätes, sehr spätes Ja drin, soll das heißen. Zweimal zurück, einmal vor. Ein psychologisches Muster.

Denn da ist er wieder: the elephant in the room. So nennen die Amerikaner etwas wirklich Riesiges, Drückendes, aber Unsichtbares. Es ist die Frage, ob Hillary Clinton 2016 Präsidentin der Vereinigten Staaten werden will. Sie spielt damit, kokettiert damit. Und man hat sich entschieden – das heißt, die politische und journalistische Welt hat sich entschieden – ihr Buch als Bewerbungsschreiben und ihr Erscheinen in Berlin als Wahlkampfauftritt zu lesen.

Die Präsidentschaftsidee wird zum Flirt

Das Buch, das im Englischen „Hard Choices“ heißt, hat in seiner Übersetzung seine ganze Schwere verloren. Es heißt jetzt nur noch „Entscheidungen“ und handelt von ihren vier Jahren als Außenministerin. Die Präsidentschaftsidee wird jetzt zum Flirt. Es ist der erste Juli-Sonntag, an dem Berlin geschlossen an den See fährt. Aber im Schillertheater wird morgens um elf Uhr ein Staatstheater gegeben, das offiziell keines sein darf. Denn Hillary Clinton kommt als Privatperson. Als Buchautorin. Sie ist nicht mit der Air Force One gelandet, wie 1994 bei ihrem ersten Besuch als First Lady. Es gab keine Signierstunde bei Dussmann, wie 2003, als sie, da war sie Senatorin in New York, ihre Autobiografie vorstellte. Und diesmal verursacht sie auch kein berlinweites Verkehrschaos, wie 2011, als sie in der Rolle der amerikanischen Außenministerin zum Nato-Gipfel nach Berlin kam. Sie hat zur Zeit kein Amt inne, aber sie hat dieses 800-Seiten-Buch mit dem Titel „Entscheidungen“ geschrieben, ohne dann eine zu fällen. Genau genommen arbeitet Hillary Clinton zur Zeit in der Clinton Foundation, der familieneigenen Stiftung. Familieneigene Stiftungen sind Abklingbecken für politisch Ambitionierte, wo sie die Zeit zwischen Ämtern oder nach Ämtern angemessen engagiert verbringen können, ohne vom Radar zu verschwinden.

Jetzt gibt es hier im Foyer des Schillertheaters ein bisschen Golfklub, ein bisschen Ostküste, etwas frisch Geduschtes, etwas Blau-Rot-Weißes, viel Geföhntes, etwas von Botschafterempfang, etwas von Parteitag, etwas Staatstragendes und auch etwas Glühendes: Anhänger, die original Wahlkampfplakate von 2008 besitzen. Der Absatz der signierten Bücher ist reißend.

Obama, ein echter Freund

Denn Hillary Clinton hat am Samstag Interviews gegeben und zwischendurch noch 500 Bücher signiert, mit blauer Tinte, effizienterweise nur mit ihrem Vornamen: „Hillary“ steht da, immerhin der Schwung ist entschieden. Christoph Amend, Chefredakteur des „Zeit Magazins“, erzählt sie, unvermeidlich, von der Bedeutung der Frisur im Leben weiblicher Politiker. Sie erzählt, wie Obama, ein echter Freund, sie darauf hinwies, dass sie Essensreste zwischen den Zähnen hat. Sie erzählt, wie sie Wladimir Putin, den Eisklotz, mit seinem Interesse für wilde Tiere und Naturreservate aus der Reserve lockte, wie der ihren Mann zu einer Eisbären-Tour einladen wollte, sie vorschlug, selber mitzukommen und er sich nie wieder meldete.

Sie erzählt, wie sie den Tod von vier Amerikanern beim Angriff auf Bengasi erlebte und sie erzählt von der spannenden halben Stunde im „Situation Room“, als sie alle gemeinsam zusahen, wie Osama bin Laden getötet wurde. Wie sich dabei ein Hubschrauber der Navy Seals an einer Mauer verfing. Dass sie ihrem Bill nichts davon erzählt hatte, und wie der das später gar nicht fassen konnte, dass sie dichtgehalten hatte, so top secret war das. Sie habe ja dieses gelbe Telefon in ihrem Büro gehabt? Oh ja, erzählt Clinton, vier Telefone, eine Leitung ins Pentagon, eine ins Oval Office, das normale Telefon und eben das gelbe, die „secure line“, die nicht angezapft werden kann. Je nachdem, mit wem sie redete, benutzte sie die verschiedenen Apparate.

Der NSA-Skandal löst sich in Lachen auf

„Wir Deutschen haben ja so unsere Erfahrungen mit sicheren Verbindungen,“ sagt Amend. „Ich habe,“ versichert Clinton, „damals jedenfalls nie jemanden Deutsch reden hören in diesen Leitungen.“ So löst sich auch der NSA-Skandal an diesem Morgen in Lachen auf. Sie wisse, sagt Clinton, auch nicht mehr, als in der Presse stand. Weltpolitik als Anekdote, die Leute haben 23 Euro Eintritt gezahlt. Die Entspanntheit war schon am Abend zuvor zu bemerken, als Clinton mit ihrer Kolonne schwarzer Geländewagen vor der Residenz des amerikanischen Botschafters John B. Emerson in Dahlem vorfuhr. Der lange Blazer in leuchtendem Blau und die schwarzen Hosen und Lackschuhe ließen sie elegant und fast alterslos erscheinen.

Das ist ein eindrucksvoller Kontrast zu den letzten Wochen ihrer Amtszeit als Außenministerin, ehe John F. Kerry sie im Februar 2013 ablöste. Damals sah man ihr die Strapazen der vielen Reisen an – hunderttausende Flugkilometer durch alle Zeitzonen über vier Jahre. Sie hatte exakt 112 Länder bereist und zwischendurch mit Frisur und Make-up den Nerv verloren. Ein Untersuchungsausschuss, der nach der Verantwortung der Außenministerin für den Tod der vier US-Diplomaten im Konsulat Bengasi in Libyen fragte, drückte sie politisch nieder. Sie machte einen erschöpften Eindruck. In der Weihnachtspause 2012 stürzte sie in ihrer Wohnung, musste ins Krankenhaus. Am Ende kursierten viele unvorteilhafte Fotos. Man fragte sich, ob sie körperlich überhaupt noch fit genug sei, um die strapaziöse Präsidentschaftskandidatur zu wagen. Am Wahltag im November 2016 wird sie 69 Jahre alt sein.

Obamas Nachfolger? Kein Name wird öfter genannt als ihrer

Am Abend traf Hillary Clinton bei Jauch auf Ursula von der Leyen.
Am Abend traf Hillary Clinton bei Jauch auf Ursula von der Leyen.

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Diese Bedenken sind inzwischen verstummt. Kein Name wird öfter genannt als ihrer, wenn die Sprache darauf kommt, wer Barack Obamas Nachfolger im Weißen Haus werden könnte. Das ist in Deutschland nicht anders als in den USA. Klaus Wowereit, Peer Steinbrück, Michael Naumann, Chefredakteure und hohe Diplomaten nutzen deshalb die Gelegenheit, ihr im Haus der Emersons nahe zu kommen und ein paar Worte zu wechseln. Obwohl parallel ein WM-Viertelfinale läuft.

Natürlich beendet Hillary Clinton die Spekulationen, ob sie nun antritt, nicht im Ausland. Diese Erklärung wird sie vor den amerikanischen Bürgern abgeben. Vielleicht schon in diesem Herbst, vielleicht erst im Frühjahr 2015, gut anderthalb Jahre vor der Wahl. In diesen Wochen bewege eine andere Frage sie weit mehr: die Vorfreude, Großmutter zu werden. Chelsea, ihr einziges Kind, ist schwanger. Das Wichtigste in ihrem Leben sei jetzt – das sagt sie im persönlichen Gespräch – dass es Chelsea und dem Baby gut gehe.

Als sich die Unterhaltung dem Wahljahr 2008 zuwendet und dem langen, spannungsreichen Wettstreit mit Barack Obama um die Kandidatur in der Demokratischen Partei, ist sie es, die eine politische Andeutung ins Spiel bringt. Damals trugen ihre Anhänger T-Shirts mit dem Namen „Hillary“ in ihrer Handschrift auf der Brust und dem Spruch „Make History!“ auf dem Rücken. Amerika wartet bekanntlich noch immer auf die erste weibliche Präsidentin. „Heben Sie das T-Shirt gut auf“, rät Clinton nun. „Es könnte nochmals gebraucht werden.“

Wer sollte sie spielen, in einem Film über sie? "Meryl Streep"

Als sie am Sonntagvormittag im Schillertheater gefühlt jede Haar-Geschichte erzählt hat, ist sie dermaßen gelöst, dass sie sogar spontan Entscheidungen fällen kann: Wer soll sie spielen, wenn Hollywood ihr Leben verfilmt? – „Oh, Meryl Streep“ kommt es wie aus der Pistole geschossen. Meryl Streep hat zuletzt Margaret Thatcher verkörpert, die erste Frau an der Spitze Englands.

Die eigene Größe bemisst sich ja immer aus dem Vergleich. Und Hillary Clinton wurde gehörig verglichen. Bei ihrem ersten Besuch 1994 machte sie gegen Hannelore Kohl im Damenprogramm ihres Mannes an der John-F.-Kennedy-Schule eine gute Figur. Man verglich die Butterkekse der Frau des Präsidentschaftskandidaten mit denen von Tipper Gore. Man verglich die Frau selbst mit der saftigen Monica Lewinsky, an deren Eskapaden sie mehr zu schlucken hatte als diese, und wonach die Welt den Eindruck gewann, Hillary Rodham Clinton gehe für ihre Ziele sogar über ihre eigene Leiche.

Man verglich „die erste Frau“, die sich um das Präsidentenamt bewarb, mit „dem ersten Schwarzen“ in gleicher Position. Man verglich die unbekümmerte Pferdeschwanz-Frisur der Außenministerin mit der gemeißelten Frisur der First Lady. Und jetzt vergleicht man in Berlin die 1000 Besucher, die ins Schillertheater gekommen sind, mit den 100 000 Menschen, die 2008 zu Obama an die Siegessäule pilgerten. Denn, wir hatten es zwischendurch fast vergessen: Dies ist als Wahlkampfauftritt zu lesen.

Die funktionieren ja wie Aktienkurse an der Börse oder High Potentials in den Management-Etagen: Die höchsten Preise werden nicht für einen realen Gegenwert gezahlt, sondern für die Entwicklung, die man ihnen noch zutraut. Da ist es einfacher, Erwartungen zu schüren, als Erwartungen zu erfüllen. Obamas Umfragewerte jedenfalls haben nie wieder die Höhe des Vorwahlkampfes erreicht, als sie noch allein auf der Vorstellungskraft der Wähler beruhten.

Wandelnde Möglichkeit

Die Vorstellungskraft Amerikas, ja der ganzen Welt, ist in Bezug auf Hillary Rodham Clinton gewaltig. In den Resonanzraum ihrer eigenen, außergewöhnlichen Vergangenheit hinein entwirft man ihre Zukunft. Seit sie am 20. Januar 2001 mit ihrem Mann aus dem Weißen Haus auszog, läuft sie als wandelnde Möglichkeit durch die Welt.

Und schon jetzt ist ihr Leben ja unvergleichlich: Sie ist die erste First Lady, die nachher selbst ein Amt im Kabinett innehatte. Die Erste, die einen Präsidentschaftswahlkampf ausgefochten hat. So eine Karriere wird nicht einfach beendet, sondern möglichst gekrönt.

Irre Umfragewerte in den USA, 55 Prozent, heißt es, würden sie morgen wählen. Möglich, dass sie das weiß. Möglich, dass ihr Wert genau jetzt am allerhöchsten ist. Auch möglich, dass sie jetzt nur den Rahm abschöpft, die Huldigungen genießt, noch ein paar hunderttausend Bücher verkauft und am Ende sagt, jemand Jüngeres hätte das Amt verdient. Sie kann sich auch umentscheiden. Schließlich hat sie ihre politische Karriere als Republikanerin angefangen.

Christoph Amend versucht es am Ende mit der Frage, die in Berlin nur wirklich aussichtslosen Großprojekten vorbehalten ist: „Wann werden Sie entscheiden, an welchem Tag Sie Ihre Entscheidung verkünden?“ „Ich schreibe Ihnen eine E-Mail“, sagt Clinton. Gelächter. Hillary Hilarious.

Als sie vor elf Jahren in Berlin ihr Buch „Gelebte Geschichte“ vorstellte, ist sie nachher noch zu Sabine Christiansen in eine Talk-Runde gefahren. Sie traf dort auf Angela Merkel, die noch nicht Kanzlerin war und sich in der öffentlichen Wahrnehmung überproportional mit ihrer Frisur herumschlug. Die Frage, die die Zeitungen damals umtrieb, war: Sitzen dort etwa eine künftige Kanzlerin und eine künftige Präsidentin nebeneinander? Schon damals wurde festgehalten, dass Hillary Clinton eigentlich nichts sagte, dies aber sehr überzeugend tat.

Dieses Mal fährt sie nach Schöneberg ins Gasometer zu „Jauch“, wo sie auf Margot Käßmann und Ursula von der Leyen trifft, um über mächtige Frauen zu diskutieren. Aber dann geht es um die Abhörskandal, das deutsch-amerikanische Verhältnis, Afghanistan und Tagespolitik. Von der Leyen und Clinton schalten in den Diplomatie-Modus. Von der Leyen versteht Amerika, sie versteht, erinnert an die amerikanische Freundschaft und ist den Tränen nahe, als sie über Ground Zero redet. Clintons „wir“ bedeutet immer Amerika. „Ich werde“, sagt Hillary Clinton irgendwann, „dem Präsidenten berichten, was ich hier gehört habe.“ Man könnte glatt vergessen, dass von der Leyen nicht Kanzlerin ist und Clinton kein Amt hat.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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