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Hinrichtungen im ersten Halbjahr: Amnesty: Iran hat schon fast 700 Todesurteile vollstreckt

"Ein finsteres Bild der Staatsmaschinerie" - Amnesty International rechnet in diesem Jahr im Iran mit mehr als 1000 Hinrichtungen. Die Behörden geben weitaus weniger an.

In den ersten sechs Monaten dieses Jahres sind im Iran bereits fast 700 Menschen exekutiert worden. Wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) am Donnerstag berichtete, sei davon auszugehen, dass vom 1. Januar bis Mitte Juli 694 Menschen hingerichtet worden seien. Dies sei eine beispiellose Steigerung.

Die iranischen Behörden hätten bis zum 15. Juli 246 Hinrichtungen offiziell bestätigt. "Wenn die iranischen Behörden diese erschreckende Hinrichtungsrate beibehalten, werden es am Ende des Jahres wahrscheinlich mehr als 1000 vom Staat angeordnete Tötungen sein", der AI-Nahostexperte Said Boumedouha.

Der Anstieg zeige, wie weit der Iran vom Rest der Welt entfernt sei, wenn es um Hinrichtungen gehe. AI zufolge lehnen inzwischen 140 Staaten die Todesstrafe ab und vollstrecken sie nicht mehr. Allein 2015 hätten bereits drei weitere Länder die Todesstrafe komplett abgeschafft. Im Iran dagegen seien die Hinrichtungen nicht einmal während des gerade zu Ende gegangenen heiligen Fastenmonats Ramadan ausgesetzt worden.

Entgegen der Praxis früherer Jahre seien im vergangenen Monat mindestens vier Menschen hingerichtet worden.

"Die niederschmetternde Zahl an Hinrichtungen im Iran zeichnet ein finsteres Bild der Staatsmaschinerie, die massenhaft vorsätzliche, juristisch genehmigte Tötungen vollzieht", sagte Boumedouha. Die Todesstrafen würden von Gerichten verhängt, die weder unabhängig noch unbefangen seien.

2014 gab es offiziell im Iran 289 Hinrichtungen

Die meisten Hingerichteten seien wegen Drogendelikten verurteilt worden, es seien aber auch Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten darunter, hieß es. 2014 seien nach offiziellen Zahlen 289 Menschen hingerichtet worden, Amnesty geht aber von mindestens 743 vollstreckten Todesurteilen aus.

Weltweit Aufsehen hatte 2014 die Exekution der 26-jährigen Reyhaneh Jabbari erregt, die trotz nationaler und internationaler Proteste sowie einer Intervention von Präsident Hassan Ruhani hingerichtet worden war. Jabbari war 2009 von einem Teheraner Gericht wegen Mordes an dem 47-jährigen Arzt und früheren Geheimdienstmitarbeiter Morteza Abdolali Sarbandi zum Tode verurteilt worden. Die hingerichtete junge Frau hatte gestanden, ihr Opfer mit einem Messer erstochen zu haben. Sie habe in Notwehr gehandelt, erklärte sie vor Gericht. Der Attackierte habe zuvor versucht, sie zu vergewaltigen.

Sigmar Gabriel verteidigt Reise nach Teheran

Anfang der Woche hatte Wirtschaftsminister Chef Sigmar Gabriel (SPD) mit einer Reise in den Iran Proteste ausgelöst. Der Vizekanzler war kurz nach dem Atomabkommen mit dem Iran der erste Spitzenpolitiker aus dem Westen, der zusammen mit Vertretern der deutschen Wirtschaft in das ölreiche Land reiste. Kritiker warfen Gabriel vor, zu früh nach Teheran gereist zu sein.

Sie verweisen darauf, dass der Iran das Existenzrecht Israels weiter nicht anerkenne und gegen Menschenrechte verstoße. Gabriel verteidigte sich am Donnerstag. Er sei dem Motto "Kontakte statt Konflikte" gefolgt. "Das, glaube ich, ist sinnvoll." Nach dem historischen Atomkompromiss sei dem Iran mit seiner Visite gezeigt worden, dass es sich für ein Land lohnen könne, "wenn es sich auf eine friedliche Konfliktlösung einlässt".

Nach der friedlichen Lösung des jahrelangen Streits wäre es laut Gabriel kein kluges Signal gewesen, Wirtschaftskontakte weiterhin abzulehnen - zumal seine Aufgabe auch darin bestehe, der deutschen Wirtschaft zu helfen. Da die Sanktionen gegen den Iran allein wegen des Atomstreits verhängt worden seien, könnten mit dessen Ende auch die Strafen wegfallen.

"Man kann nicht dafür plädieren, Sanktionen und Kontaktsperren aufrecht zu erhalten, weil es mit dem Iran noch weitere Konflikte gibt", sagte Gabriel. Meinungsverschiedenheiten bei Themen wie Menschenrechten und dem Existenzrecht Israels blieben davon unberührt, es müssten aber "gleiche Maßstäbe" angelegt werden.

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