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Politik: Hinter den Linden: Mir auch eins!

Hundert Tage im neuen Amt - das ist die Schonfrist. Dann folgen erste Noten.

Hundert Tage im neuen Amt - das ist die Schonfrist. Dann folgen erste Noten. Doch jeder weiß, dass man nach gut drei Monaten schwerlich angekommen sein kann, wo immer einen die Wähler hinbefördert haben. Mit tausend Tagen ist das anders. Nach knapp zweidreiviertel Jahren sind Anfangsfehler längst korrigiert, Minister ausgewechselt, der Apparat läuft, die schlimmsten Berater sind weggelobt. Routine setzt ein. Kanzler Gerhard Schröder steuert gerade auf diese Tausend-Tage-Marke zu. Also sehen wir mal nach, wie Machtroutine bei ihm aussieht.

In einem Berliner Biergarten sitzt der leibhaftige Kanzler. Ein höflicher Thomas, Anfang 20 und kurze blonde Haare, tritt hinzu, um ein Autogramm zu ergattern. Fast eine halbe Stunde lang ist Schröder von niemandem beim Weißbier-Trinken gestört worden. Selbst die beiden Girl-Punks am Nebentisch haben ihn kaum beachtet. Daher ist er guter Laune und bereit, sich auf Thomas einzulassen. "Thomas mit T-H?", fragt der Kanzler. Der Bittsteller sagt "Ja!" und nimmt dann seinen ganzen Mut zusammen: "Übrigens, ich trinke auch Weißbier." Der Kanzler lehnt sich zurück, schützt das empfindliche linke Auge gegen die tief stehende Sonne und sagt: "Wussten Sie, dass ich Bayer bin?" "Nein!?" "Wissen Sie, wie man bayerischer Staatsbürger wird?" Dem Thomas wird es langsam unheimlich: "Neee." "Kennen Sie die bayerische Staatsverfassung, Artikel sechs? "Ich wollte doch nur ein Autogramm", denkt sich Thomas. "Habe ich grad nicht parat", pariert er dann. Doch Schröder lässt nicht locker. "Sie kennen die bayerische Staatsverfassung doch gar nicht, geben Sie es zu! Das macht ja auch nix. Also: Bayer ist man durch Geburt, durch Verleihung durch die Staatsregierung oder durch Heirat. Ich habe eine Bayerin geheiratet." Das Autogramm ist fertig, Thomas dankt, kriegt einen mittelkräftigen Handschlag, denkt sich "puh!" und geht. Schröder nimmt einen kräftigen Schluck helles Hefeweizen.

Am ehesten entlarvt sich Macht, wenn sie auf vermeintlich Machtlose trifft. Der Kanzler und seine Bürger: Nach fast tausend Tagen hat Schröder seine Rollenmischung gefunden. Ein bisschen Papa, ein bisschen Kumpel, ein kräftiger Schuss Ironie als Brücke zwischen dem da oben und irgendeinem von denen da unten. Welche die da oben immerhin wählen dürfen. Und abwählen auch.

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