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Politik: Hinter den Linden: Wer meint, zahlt drauf

Die meisten Menschen verführt die Nähe zur Macht dazu, die politische Einstellung der Wort- und Herdenführer ungeprüft zu übernehmen und auf eigene Gedanken zu verzichten - oder aber tunlichst den Mund zu halten und niemandem zu verraten, dass sie selbst ganz anders denken. Aber Halt!

Von Hans Monath

Die meisten Menschen verführt die Nähe zur Macht dazu, die politische Einstellung der Wort- und Herdenführer ungeprüft zu übernehmen und auf eigene Gedanken zu verzichten - oder aber tunlichst den Mund zu halten und niemandem zu verraten, dass sie selbst ganz anders denken. Aber Halt! Manchmal trifft man sie doch, die Charaktere vom Schlag des Müllers von Sanssouci, der seinem König nicht weichen wollte, oder des Michael Kohlhaas, der unbedingt Recht behalten wollte, koste es, was es wolle. Im Regierungsviertel in Mitte bemühen sich zumindest die Inhaber eines Antiquitätengeschäfts nahe den provisorischen Bundestagsbüros wacker darum, die Regel von der korrumpierenden Nachbarschaft zur Autorität zu widerlegen.

Ihr Geschäft in der Marienstraße liegt zwar räumlich im Zentrum der Macht, doch die Antiquitätenhändler legen großen Wert darauf, dass ihr bemerkenswertes Urteil zu einer Grundentscheidung deutscher Politik bei vielen Kunden und Passanten bekannt wird. Denn es unterscheidet sich von dem der großen Mehrheit der Berliner Abgeordneten und Politiker. "Wir werden zum 1. Januar 2002 unsere Preise in US-Dollar ausschreiben, weil die Europeseta keinen Bestand haben wird", heißt es im Schaufenster.

Ähnlich unkonventionell wirkt auch eine handgeschriebene Mitteilung über die Geschäftszeiten: Geöffnet hat der kleine Laden danach Montag bis Freitag von 16 bis 19 Uhr "und wenn wir auch so da sind". Wenn sie nicht da sind, um Sofas, alte Lampen oder Nippes zu restaurieren und zu verkaufen, studieren sie wohl Wechselkurse oder transatlantische Statistiken zum Bruttosozialprodukt. Die Kunden des Ladens werden vom nächsten Jahr an jedenfalls nicht umhinkommen, der Euroskepsis der Inhaber einen Tribut zu zollen. Denn mit ausgesuchter Höflichkeit wird im Schaufenster jedem eine knallharte Sanktion angedroht, der eine positivere Meinung von dem gemeinsamen Zahlungsmittel hat: "Von der verehrten Kundschaft, die in der Währung Euro wird bezahlen wollen, wird dann ein Aufschlag von 40 Prozent verlangt werden müssen. Wir bitten um Ihr Verständnis." Wer dem Euro traut und Antiquitäten liebt, wird dann tief in die Tasche greifen müssen. Aber vielleicht ist es ganz lehrreich, wenn die Mehrheitsvertreter für ihre Meinung einmal teuer bezahlen. Sie ist ja dennoch meist recht billig zu haben.

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