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Politik: Hinter der Nofretete her

Von Hermann Rudolph

Gehen in West-Berlin – langsam – die Lichter aus? Etwas von diesem Eindruck marschierte mit in dem merkwürdigen Demonstrationszug für die Theater am Kurfürstendamm, der sich am Montag durch die Stadt bewegte. Natürlich ging es in erster Linie um die Erhaltung dieser Bühnen, die der viel geliebten Meile des Berliner Westens einen Schuss Boulevard-Theater geben. Doch zugleich hatte damit eine Stimmung, die im Westteil der Stadt umgeht, ein fassbares Objekt gefunden. Sie registriert und beklagt einen vor allem kulturellen Auszug. Sagen wir es zugespitzt so: Der Zug von der Staatsoper zum Kurfürstendamm, von Ost nach West, fand auch deshalb statt, weil ein paar Monate zuvor die Nofretete, Berlins Ikone in langen Mauerjahren, von West nach Ost, vom Ägyptischen Museum zur Museumsinsel im Osten gewandert ist.

Es ist ja unübersehbar, dass sich die Gewichte in der Stadt verlagert haben, und zwar in einer Weise, die fühlbar am Selbstgefühl vieler West-Berliner zehrt. Nicht erst der Aplomb, mit dem sich die Berlinale am Potsdamer Platz etabliert hat, hat das eben wieder deutlich gemacht. Alte Erinnerungsorte aus West-Berliner Tagen wie der Bahnhof Zoo oder das ICC werden degradiert. Die Museumsinsel ist zum Vorzeigeunternehmen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz geworden, zu Lasten der Dahlemer Museumsmeile. Und die Staatsoper Unter den Linden lässt die Deutsche Oper alt aussehen, obwohl die doch früher das musikalisch auffälligere Haus war.

Muss man es so sehen? Gut, die Theaterszene im Westen ist seit der Schließung des Schiller-Theaters wirklich ausgedörrt. Aber ist es ein Verlust West-Berlins, wenn die Nofretete dahin zurückkehrt, wo sie sich ursprünglich befand, bevor die Verhältnisse durch die Teilung der Stadt durcheinander gebracht wurden? Kann man nicht auch einen Gewinn darin erblicken? Sieht man auf das Publikum, das das Deutsche Theater oder die Staatsoper besucht, das in den Dom strömt oder mit seiner Sympathie die Wiederherstellung der Museumsinsel begleitet, so könnte man auch zu dem Schluss kommen, dass die Mitte vom Westen – nicht zuletzt von den West-Berlinern – übernommen worden ist.

Unbestreitbar gibt es eine Unwucht im Seelenleben West-Berlins. Dazu trägt aber nicht nur der Culture-Drain bei, sondern vor allem der Umstand, dass beim Stadtneu- und -umbau manches vergessen worden ist. Es ist in Schwang gekommen, West-Berlin herunterzuschreiben auf das Niveau von Filzokratie, des kleinen politische Karos und – im netteren Fall – der Wilmersdorfer Witwen. Aber das unterschlägt doch souverän, dass es dieses West-Berlin war, das vier Jahrzehnte den Fuß in die Tür gestellt hat, als diese sich zwischen Ost und West zu schließen drohte. Die Geschichte wäre anders verlaufen, wenn es dieses seltsame Insel-Biotop nicht gegeben hätte. Und Berlin hat sich nach der Wende nicht zuletzt auch deshalb zu einer faszinierenden Stadt entwickelt, weil es West-Berlin gab, seine gesellschaftliche Infrastruktur, seine Kultur-Förderer, seine Mäzene. Die PDS, zum Beispiel, hat wahrhaftig kein Verdienst daran, und man kann ihrem jungen Vorsitzenden, der sich nun bemüßigt fühlt, dem alten West-Berlin hinterherzutreten, nur zugute halten, dass er nicht weiß, wovon er redet.

Gewiss, wir brauchen zur bekannten Ostalgie nun nicht auch noch eine Portion Westalgie. Oder nur ein bisschen, um die verstörten Gemüter zu streicheln. Aber wenn ein um die Stadt so verdienter, nüchterner Mann wie Ulrich Eckhardt, der langjährige Intendant der Berliner Festspiele, Anlass sieht, den „Bedeutungsverlust“ West-Berlins zu beklagen, dann ist etwas im Gange, das der allgemeinen Aufmerksamkeit darf. Das neue Berlin darf das Erbe nicht vergessen, das ihm das alte West-Berlin hinterlassen hat. Es braucht das Bewusstsein seiner Herkunft – seiner Zukunft wegen.

Und die Kurfürstendamm-Bühnen, diese populäre, berlinische Form des Boulevard-Theaters, braucht die Stadt natürlich auch.

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