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Hintergrund: Übergesetzlicher Notstand

Wenn "andere Regeln" gelten: Ein "übergesetzlicher Notstand" ist weder im Grundgesetz noch in anderen deutschen Gesetzesbüchern festgelegt.

Wer sich auf einen "übergesetzlichen Notstand" beruft, stellt sich automatisch außerhalb des geltenden Rechts. Er sucht einen Entschuldigungsgrund für den bewussten Verstoß gegen eine strafrechtliche Vorschrift wie etwa das Folter- oder Tötungsverbot, um damit angeblich übergeordnete Werte zu schützen.

Nach Ansicht von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) gelten dann "andere Regeln" als sonst, wenn "eine gemeine Gefahr" oder "die Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" droht. Dann sei auch der Abschluss eines von Selbstmordattentätern entführten Passagierflugzeuges erlaubt.

Der jetzt von Jung ins Spiel gebrachte Begriff des übergesetzlichen Notstands wird nicht das erste Mal zur Rechtfertigung eines absichtlichen Rechtsbruchs diskutiert. Vor vier Jahren tauchte der Begriff in der Folter-Debatte im Zusammenhang mit der Entführung und Ermordung des Bankierssohns Jakob von Metzler auf. Damals hatte der frühere Vizepräsident der Frankfurter Polizei, Wolfgang Daschner, dem mutmaßlichen Entführer im Verhör Gewalt androhen lassen, um den Aufenthaltsort von Jakob zu erfahren.

Immer geht es dabei um eine Kollision von Pflichten staatlicher Entscheidungsträger. Ein bekanntes Beispiel stammt vom Heidelberger Staats- und Völkerrechtler Karl Doehring: Jemand weiß, dass irgendwo eine Atombombe versteckt ist, die eine Millionenstadt in die Luft sprengen könnte. "Dann muss es eine Grenze geben, wo die Rettung von Menschenleben durch Folter zulässig ist", sagte Doehring im Jahr 2003. Er hielt Ausnahmen vom allgemeinen Folterverbot für zulässig, wenn eine große Zahl von Menschen sonst ums Leben kämen.

Das Strafgesetzbuch kennt nur den "rechtfertigenden Notstand" (§ 34 StGB). Demnach handelt "nicht rechtswidrig", wer eine Straftat begeht, um eine unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben von sich oder einem anderen abzuwenden. Bei der Abwägung muss aber das geschützte Interesse das beeinträchtigte "wesentlich" überwiegen. Die Tat muss zudem "ein angemessenes Mittel" sein, die Gefahr abzuwenden. Auf den "rechtfertigenden Notstand" darf sich nach den Worten des früheren Verfassungsgerichtspräsidenten Ernst Benda allerdings nur "der Bürger berufen, nicht aber der Staat". (mit ddp)

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