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Ohnesorg

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Hintergrund: Wie kam es zu den tödlichen Schüssen auf Benno Ohnesorg?

Karl-Heinz Kurras ist in seinem Leben zweimal berühmt geworden – im Juni 1967 und im Mai 2009 – und noch ist nicht ausgeschlossen, dass es zwischen den beiden Daten einen direkten Zusammenhang gibt.

Am 2. Juni 1967 hat Karl-Heinz Kurras den 26 Jahre alten Studenten Benno Ohnesorg erschossen. Wie es zu dem tödlichen Schuss in den Hinterkopf des jungen Mannes kam, ist in zwei Gerichtsverfahren und einem Untersuchungsausschuss geklärt worden. Doch das eigentlichen Motiv für den tödlichen Schuss ist bis heute ungeklärt. Kurras hat sich später vor Gericht auf Notwehr berufen: Er habe sich bedroht gefühlt. Dass gerade von Benno Ohnesorg eine Bedrohung ausging, konnte nie bewiesen werden.

Ohnesorg hatte mit vielen tausend anderen vor der Deutschen Oper gegen Schah Reza Pahlevi von Persien demonstriert, der am 2. Juni West-Berlin besuchte. Kurras gehörte damals zur Politischen Polizei. Er war an diesem Abend im zivilen Anzug und weißem Hemd unterwegs, um Rädelsführer der Studenten festzunehmen. Die Lage um die Oper herum war schon explosiv, als drinnen die Aufführung der „Zauberflöte“ begann. Viele Studenten hatten das Gefühl, dass die Polizei auf Krawall aus war. Fotos von damals zeigen eher harmlos erscheinende, bürgerlich wirkende junge Frauen und Männer, bedrängt von Polizisten, die mit Wucht und großem Engagement den Schlagstock schwingen.

So setzte sich am Abend eine Auseinandersetzungen zwischen protestisierenden Studenten und der Staatsmacht fort, die mittags vor dem Schöneberger Rathaus begonnen hatten, als der Schah dieses besuchte. Durch einen Zufall gerieten Kurras und Ohnesorg in denselben Hinterhof an der Krummen Straße, vielleicht zweihundert Meter vom Eingang der Oper entfernt. Ohnesorg trug, daran hat der Autor Uwe Soukup in seinem Buch „Wie starb Benno Ohnesorg?“ erinnert, ein knallrotes Hemd – und vielleicht war es dieser Farbtupfer, der Kurras in einer unübersichtlichen, angespannten Lage auf ihn aufmerksam werden ließ, die wohl alle im Hof für höchstgefährlich hielten. So zog er seine Waffe, feuerte, wie er später sagte, um einen Warnschuss abzugeben – und Ohnesorg stürzte, tödlich verletzt, zu Boden. Soukup tendiert in seinem Buch über Ohnesorg und seinen Tod zu der These, dass Kurras in einer Art übersteigertem Jagdeifer und aus einer inneren Gegnerschaft zu den bewegten Studenten die Beherrschung verloren hat. „Bei der Frage, warum Kurras geschossen hat, braucht man sich nicht lange bei den Erklärungen Kurras’ aufzuhalten: Mal sprach Kurras von zwei Warnschüssen, dann war es nur ein Warnschuss und ein versehentlich in einem Handgemenge ausgelöster Schuss, auch war von Notwehr die Rede. Wahrscheinlich weil sich diese Versionen sämtlich widersprachen, erfand Kurras einen zweiten Schuss, den er abgegeben haben will. So glaubte er vielleicht, seine verschiedenen Begründungen besser – eben auf mehr als einen Schuss – verteilen zu können.“

Der Schuss aus Kurras’ „Walther“-Pistole wirkte wie eine Initialzündung für die folgenden Unruhen in West-Berlin, er radikalisierte die Studentenbewegung über Jahre. Der Mann und sein Motiv blieben rätselhaft, bald verschwand er fast ganz hinter der Radikalisierung der Studentenbewegung. Auch Soukup, der ihn noch 2007 zu sprechen versuchte, kam nicht an ihn heran – und dann ereignete sich der zweite große Zufall im Leben des Polizisten, der Protestgeschichte machte: Im Mai dieses Jahres gab die Birthler-Behörde bekannt, dass Kurras ein Zuträger des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit gewesen war – und kein schlechter.

Als „Otto Bohl“ hatte er der Stasi seit 1955 Berichte und Unterlagen geliefert. Er hatte eine Menge Geld damit verdient, aber das war es nicht allein: Kurras lieferte Mielkes Sicherheitsexperten auch Stimmungsberichte und Einschätzungen der Lage der West-Berliner Polizei, er arbeitete wie ein Agent von Mielkes Sicherheitsdienst. Er informierte die Stasi über Ermittlungen gegen Stasi-Agenten im Westen und half mit, West-Agenten im Osten hochgehen zu lassen. Er lieferte nach „drüben“ an Organigrammen, Telefonlisten, Hinweisen auf konspirative Wohnungen der westlichen Geheimdienste, was er bekommen konnte. Bis 1967 ging das so. Dann heißt es im Inhaltsverzeichnis des zuvor hochgelobten Agenten unter dem Stichwort „Belastugen“: „Mörder des Benno Ohnesorg“. Nur juristisch war das nicht ganz korrekt.

Der Aufsatz, den Helmut Müller-Enbergs und Cornelia Jabs von der Birthler-Behörde unter dem Titel „Der 2. Juni und die Staatssicherheit“ vor ein paar Monaten veröffentlichten, hat einiges in Bewegung gebracht. In der Behörde gab es Streit darüber, dass mindestens siebzehn Aktenbände mit teilweise brisantem Material zwar paginiert, aber nicht als hochspannend erkannt worden sind. Der Vorgang Otto Bohl war ein Zufallsfund. In der Berliner Politik gab es Streit darüber, ob eine abermalige Untersuchung der Polizei auf Stasi-Unterwanderung sinnvoll sei. Inzwischen organisiert der Forschungsverbund SED-Staat ein entsprechendes Forschungsvorhaben. Unter den Zeithistorikern, die sich mit 1968 befassen, gab es Streit über den „Gründungsmythos“ der Bewegung. Stasi-Mann Kurras – ein Spät-Faschist, wie 1967/68 viele entsetzte Studenten meinten? Der korrekte Polizist, den brave Bürger und Politiker damals in ihm sahen – ein Stasi-Agent? „Wir haben uns alle geirrt“, schrieb der Historiker Götz Aly über den Fall Kurras. So beginnt das Aufräumen historischer Irrtümer.

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