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Historikerkommission: Forscher belegen Nazi-Verstrickung des Auswärtigen Amts

Das Auswärtige Amt galt als Apparat, der weniger stark als andere Behörden in NS-Verbrechen verwickelt war. Nun sind Historiker erschrocken, über das "schiere Ausmaß", in dem Beamte damals "kollaborierten".

Berlin - Am Anfang war die Verärgerung des Ministers. Der Anlass war ein Nachruf in einer Hauspostille. Das Ergebnis der Verärgerung wird am kommenden Donnerstag in Buchform veröffentlicht, und es dürfte für das Ministerium eines der größeren Ereignisse der letzten Jahre sein. Weil, glaubt man der Verlagswerbung, ein Mythos endgültig begraben wird: Der Mythos des Auswärtigen Amtes als eines Apparats, der in die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands zwar auch verstrickt war, aber keineswegs so stark wie andere Behörden des Dritten Reiches. Und am Widerstand stärkeren Anteil hatte.

„Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik“ lautet der Titel des Buches, das am Sonntag schon unter den Top 100 beim Versandhändler Amazon stand. Es zeigt, dass das Auswärtige Amt (mit seinem Sitz in der Wilhelmstraße) vor 1945 weit stärker in die NS-Verbrechen verstrickt war als bisher bekannt, und dass die Verstrickten nach 1945 nicht nur ihre Karrieren weiterführen konnten, sondern offenbar auch geradezu korpsmäßig daran arbeiteten, dass so wenig wie möglich ans Tageslicht kam.

Das Buch ist das Ergebnis der Arbeit einer Historikerkommission, die der verärgerte Bundesaußenminister Joschka Fischer 2005 einberief, nachdem in der Hauszeitschrift „intern AA“ 2003 ein Nachruf auf den Generalkonsul Franz Nüßlein stand, in dem dessen NS-Vergangenheit und Verurteilung als Kriegsverbrecher in der Tschechoslowakei keine Rolle spielte. Fischer verfügte, dass Diplomaten, die im Dritten Reich eine unrühmliche Rolle gespielt hatten, keine Nachrufe mehr bekommen sollten. Als Ersten traf das 2005 den einstigen Nato-Botschafter Franz Krapf, der nicht nur NSDAP-Mitglied, sondern auch bei der SS gewesen war. Eine ganze Reihe von einstigen und auch aktiven Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes (das bis heute an seiner Benennung in der Bismarck-Zeit festhält) protestierte dagegen, worauf Fischer die offizielle Vergangenheitsaufarbeitung in Gang setzte. Die hatte es bis dahin nämlich nicht gegeben, denn aus Sicht der Eliten des AA konnte wohl nicht sein, was nicht sein durfte.

Was die Historiker Eckart Conze (Marburg), Norbert Frei (Jena), Peter Hayes (Chicago) und Moshe Zimmermann (Jerusalem) aufdeckten, empfindet Fischer als Bestätigung: Den alten Eliten des Amtes, die noch lange Zeit nach 1945 den Apparat bestimmten und von ihrem Tun vor 1945 partout nichts wissen wollten, sei nun der Nachruf geschrieben worden, „den sie wollten“, sagte der grüne Ex-Außenminister in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Fischer sieht darin zweifellos auch einen Höhepunkt seines Marschs durch die Institutionen.

Conze, der Koordinator der Historikergruppe, war erschrocken über das „schiere Ausmaß, in dem die nationalkonservative Oberschicht kooperierte und kollaborierte“. Nach 1951 scheint man sich im Amt recht einig gewesen zu sein, über das Geschehene hinwegzugehen. Aber es war offenbar mehr als nur ein Hinweggehen: AA-Beamte engagierten sich bis in die Sechzigerjahre hinein recht aktiv beim Täterschutz. Fischer sieht nach der Lektüre des Historikerberichts auch die Rolle des Archivs des Auswärtigen Amtes kritisch, das möglicherweise dazu beigetragen hat, ein geschöntes Bild nach außen zu tragen. Der Ex-Minister schlägt daher vor, das Archiv des Ministeriums ins Bundesarchiv zu übertragen.

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