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Helmut Kohl zeigt die Raute während eines Besuchs bei Bill Clinton in Milwaukee im Mai 1996.

© Konrad R. Müller

Historische Aufnahme: Helmut Kohl - der Vater der Raute

Was die Welt mit der Kanzlerin verbindet, hat der schon ein Kanzler gezeigt. Das beweist eine bisher unbekannte Aufnahme des Fotografen Konrad R. Müller.

Das Drehbuch: perfekt. Die Kameras klicken und surren. Die Sitzplätze sind mit Namensschildern versehen, der Präsident weist den Platz an. Der Hausherr spielt seine Rolle gewinnend. Er weiß, was von ihm verlangt wird, er will schließlich wiedergewählt werden. Der Bundeskanzler ist geschmeichelt, erwidert die Gesten der politischen Umarmung, sogar auch körperlich. Einmal legt ihm der Präsident die Hand aufs linke Knie, und der Kanzler lässt es geschehen.

Milwaukee im Mai 1996. Ein Gipfeltreffen, der "Biergipfel": Milwaukee ist die "deutscheste Stadt im ganzen Land", so nennt sie sich selbst. Im November sind Wahlen, und in Wisconsin ist die Hälfte der knapp fünf Millionen Amerikaner deutschstämmig. 1992 konnte hier Bill Clinton gewinnen, das will er wiederholen. Ein Schlüsselstaat, einer mit strategischer Bedeutung für den, der anderthalb Flugstunden entfernt im Weißen Haus in Washington regieren will. Vieles wird in der Sache vereinbart, das wichtige Luftverkehrsabkommen unterzeichnet, das es deutschen Fluggesellschaften erlaubt, alle Flughäfen der USA anzusteuern.

Aber es wird auch persönlich, und das ist eine ganz andere Sache. "Chemistry", die Chemie zwischen zwei Politikern, wird hier sichtbar wie selten zuvor. Ein Freund, ein Ratgeber sei Helmut für ihn, sagt Bill, und während die Eloge kein Ende nehmen will, offenbart der Regierungschef mit der längsten Amtszeit der westlichen Welt sein Gefühl. Die Augenlider flattern sichtbar, er ist gerührt, er strahlt – und wirkt zugleich scheu.

Das alles vereint sich in diesem Bild. Und in der Raute seiner Hände.

Ja, Helmut Kohl ist der Vater der Raute. Er hat sie erfunden, nicht seine politische Erbin, Angela Merkel.

Mag sie inzwischen in so vielem auf seinen Spuren wandeln, in der europäischen Politik und in ihrer Bedeutung weltpolitisch, weil sie ja auch die am längsten amtierende Regierungschefin der westlichen Welt ist; weil Europa auch für sie die andere Seite der Medaille deutscher Wiedervereinigung ist; weil sie für Europa Milliarden von der Währung gibt, die Kohl eingeführt hat; weil sie für Europa steht oder fällt – seine Raute ist dann doch noch eine andere als ihre.

Merkels Raute ist zu einer Dauerlösung geworden. Heute ist sie Standard, und die Kanzlerin wird darin sogar imitiert. Hände auf einem Bild: wohin mit ihnen? In die Hosentasche stecken? Das wirkt schnell zu lässig, herablassend wohl auch. Und wie soll das gehen bei einem zugeknöpften Blazer? Anstatt die Hände zu falten, was aussehen würde, als bete sie, wodurch es zu einer unglücklichen Deutung Anlass gegeben hätte, formte sie die Raute. Kohls Raute.

Nur ist dessen Raute Ausdruck einer anderen Form von Verlegenheit. Der Rekordkanzler brachte in Milwaukee zusammen, was er fühlte: Verlegenheit und Glück. Wer ihn damals sah, sah – Innigkeit. Die Rekordkanzlerin neigt dazu weniger. Helmut Kohl zeigte die Raute auch mit François Mitterrand.

Diese historische Aufnahme hat Konrad R. Müller gemacht, der Fotograf, der alle Kanzler porträtiert hat. Es entstand im Büro des Bürgermeisters. Danach hat Bill Clinton ihn für den Rückflug von Milwaukee nach Washington in die Präsidentenmaschine "Air Force One" eingeladen.

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