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Recep Tayyip Erdogan

© dpa

Hitler-Vergleich: Diktatur-Reflexe um Erdogan

Der türkische Präsident Erdogan bringt sich mit seinem Hitler-Vergleich in die Defensive und seine Präsidialsystem-Pläne in Gefahr.

Für Recep Tayyip Erdogan hat das neue Jahr mit einem peinlichen Ausrutscher begonnen. Ausgerechnet bei seinem langgehegten Plan zur Einführung eines Präsidialsystems mit ihm selbst an der Spitze hat sich der türkische Staatschef mit einem Hitler-Vergleich gleich zu Jahresbeginn selbst in die Defensive gebracht. Kritiker Erdogans sehen sich in ihren Warnungen vor autokratischen Tendenzen des Staatschefs bestätigt.

Erdogans umstrittene Äußerung fiel bei einer Pressekonferenz nach seiner Rückkehr von einem Besuch in Saudi-Arabien am Donnerstagabend. In der Antwort auf eine Frage nach der Machbarkeit eines Präsidialsystems in einem zentralistisch organisierten Land wie der Türkei verwies Erdogan auf die Nazis: Für Präsidialsysteme in zentralistischen Staaten gebe es Beispiele aus Gegenwart und Vergangenheit, sagte er. „Schauen Sie sich Hitler-Deutschland an, dann sehen Sie es.“

Gegner werfen Erdogan vor, alle Macht an sich reißen zu wollen

Damit habe Erdogan die Türken wissen lassen, welches Modell er für Ankara im Sinn habe, kritisierte der Oppositionspolitiker Oktay Vural. Der Kolumnist Ergun Babahan schrieb in der Zeitung „Özgür Düsünce“, Erdogans Pläne für ein Präsidialsystem ähnelten tatsächlich den Zuständen in Hitler-Deutschland, wo der Mann an der Spitze nach Belieben schalten und walten konnte.

Kemal Kilicdaroglu, der Vorsitzende der säkularistischen CHP, der zweitstärksten Partei im Parlament, sprach in einem Zeitungsbeitrag von „Diktatur-Reflexen“ des Staatsoberhauptes. Erdogan-Gegner halten dem 61-jährigen Präsidenten vor, er wolle alle Macht im Staat an sich reißen.

Auch im Ausland sorgten Erdogans Äußerungen für Wirbel. Eine Sprecherin des Außenministeriums in Russland, das mit der Türkei seit November im Streit liegt, erklärte laut türkischen Medienberichten mit Blick auf den Hitler-Vergleich des türkischen Präsidenten, nun werde einiges klar.

Alles ein Missverständnis? Jedenfalls lässt Erdogan seine Kritiker kritisieren

Die ganze Welt spreche über Erdogan und Hitler, meldete die Oppositionszeitung „Cumhuriyet“. Der Erdogan-kritische Politikwissenschaftler Savas Genc kommentierte, wenn viele der ausländischen Kommentare und Karikaturen zu Erdogans Hitler-Äußerung in der Türkei erschienen wären, würde es jetzt Beleidigungsklagen des Präsidenten hageln.

In Ankara versucht das Präsidialamt unterdessen zu retten, was zu retten ist. Erdogans Äußerungen seien von den Medien verzerrt wiedergegeben worden, erklärte die Behörde. Der Staatschef habe lediglich sagen wollen, dass ein parlamentarisches System wie auch ein Präsidialsystem missbraucht werden könnten. Dabei habe er auf Hitler-Deutschland verwiesen. Die Behauptung, Erdogan habe sich lobend über Nazi-Deutschland geäußert, sei „nicht hinnehmbar“. Im ausführlichen Bericht über Erdogans Pressekonferenz auf der Internetseite des Präsidialamtes tauchte die Hitler-Passage nicht auf.

Erdogan dringt seit Langem darauf, das bisherige parlamentarische System der Türkei durch eine Präsidial-Demokratie zu ersetzen. Der Präsident und seine Anhänger argumentieren, ein Präsidialsystem sei effizienter als ein parlamentarisches und werde deshalb in vielen hoch entwickelten Staaten wie den USA praktiziert. Kritiker wenden ein, Erdogan wolle zwar die weitreichenden Machtbefugnisse eines amerikanischen Präsidenten übernehmen, nicht aber die wirkungsvollen Kontrollmechanismen des US-Systems, in dem Parlament und Bundesstaaten die Befugnisse des Präsidenten begrenzen.

Über Reformbedarf am Staatssystem sind sich Experten einig - nur die Bürger sind skeptisch

Dass das türkische System reformiert werden muss, ist unumstritten: Die derzeitige Verfassung wurde 1982 von den Militärs ausgearbeitet. Erdogan wirbt dafür, anstehende Gespräche über eine neue Verfassung für einen Systemwechsel zu nutzen.

Mit der Umstellung auf ein Präsidialsystem will Erdogan die politische Wende in der Türkei, die er nach dem Machtantritt seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP im Jahr 2002 gegen die traditionellen säkularistischen Eliten in Staat und Armee durchgesetzt hat, unumkehrbar machen. Er will die Vorherrschaft der konservativen Anatolier – die strukturelle Mehrheit der Wählerschaft – auf Dauer festschreiben. Wenn sich Erdogan mit seinem Plan durchsetzt, ist es nach den heute bestehenden Kräfteverhältnissen fast ausgeschlossen, dass die Türkei jemals einen linken oder säkularistischen Präsidenten erhält.

Allerdings kann die AKP trotz ihres Sieges bei der Parlamentswahl im November die Verfassung nicht aus eigener Kraft ändern. In der Presse wird deshalb bereits über vorgezogene Neuwahlen spekuliert, die Erdogan ansetzen könnte, um der AKP zu einer Parlamentsmehrheit von mindestens 330 Sitzen zu verhelfen: Mit einer solchen Zahl der Mandate könnte die AKP den Präsidial-Plan einer Volksabstimmung vorlegen.

Allerdings zeigen die meisten Umfragen, dass die Türken das Präsidialsystem ablehnen; in einer Befragung kam Erdogans Vorschlag auf eine Zustimmungsrate von gerade einmal 31 Prozent. Erdogan will nun bei Treffen mit Akademikern, Medienvertretern, Juristen und Wirtschaftsfachleuten für seinen Plan werben. Zudem sollen mehrere hunderttausend Wähler befragt werden. Nach dem Hitler-Vergleich könnte die Skepsis in der Öffentlichkeit jedoch noch weiter wachsen.

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