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Elbeflut 2002

© ddp

Hochwasser: Nach der Flut ist vor der Flut

Nach den Jahrhundertfluten an Oder und Elbe sind viele Konsequenzen angekündigt worden. Es sollte besser vorgesorgt werden. Was wirklich getan wurde, hat damit nicht allzu viel zu tun.

Die Bilder der Wassermassen schockierten Bürger wie Politiker. Es wurde viel über Vorsorgemaßnahmen debattiert, Abhilfe angekündigt. 1997 wie 2002 war die Wetterlage zwar eine besondere, aber es war auch klar, dass es bei besserer Vorbereitung nicht so schlimm hätte kommen müssen. Wie sieht die Flutbilanz aus? Was ist seither geschehen?

WETTER

Beide Hochwasser waren Folge einer sogenannten 5-b-Wetterlage. Ein Tiefdruckgebiet, das über Zentraleuropa auf sehr kalte Luftmassen stößt und dadurch nach Süden abgedrängt wird. Es zieht dann über das Mittelmeer, nimmt viel Wasser auf und zieht weiter in Richtung Nordosten entlang dem Ostrand der Alpen, über Österreich, Tschechien und Richtung Polen. Die feuchtwarmen Luftmassen verursachen kräftige Niederschläge. Im Fall des Elbehochwassers gingen im Erzgebirge die stärksten je gemessenen Starkregenfälle nieder. Nicht jede 5-b-Wetterlage führt zu einer Hochwasserkatastrophe. Inzwischen lässt sich das Risiko nach Auskunft des Deutschen Wetterdienstes (DWD) besser vorhersagen. Allerdings sei es noch immer schwierig abzusehen, „wo genau der Regen fallen wird“, sagt Gerhard Steinhorst vom DWD. Nach der Elbeflut hat der Dienst sein Warnmanagement verbessert. Beim Sturmtief „Kyrill“ im Frühjahr 2007 bewährte sich das. Die Menschen bereiteten sich auf den Orkan vor, entsprechend geringer fielen die Schäden aus.

OPFER UND SCHÄDEN

Bei der Oderflut im Sommer 1997 starben in Polen und Tschechien 114 Menschen. Die volkswirtschaftlichen Schäden in den beiden Nachbarländern lagen bei rund 3,6 Milliarden Euro, die Schäden in Deutschland betrugen etwa 330 Millionen Euro. Der Bund zahlte damals Soforthilfen in Höhe von knapp 250 Millionen Euro aus. An Spenden kamen für die deutschen Hochwasseropfer an der Oder stolze 50 Millionen Euro zusammen.

Bei der Elbeflut im Sommer 2002 starben allein in Deutschland 21 Menschen. Die volkswirtschaftlichen Schäden lagen bei 9,2 Milliarden Euro. Der Bund machte über eine Verschiebung der geplanten Steuerentlastungen 7,8 Milliarden Euro für den Wiederaufbau frei. Rund 350 Millionen Euro kamen an Spenden zusammen. Private Flutopfer bekamen 80 Prozent der Schäden an ihren Häusern ersetzt, die Hilfsorganisationen legten weitere 20 Prozent drauf. Auch Unternehmen wurden entsprechend entschädigt. In etwa 1400 Fällen musste das Kuratorium Fluthilfe aus seinem Nothilfetopf noch Geld auszahlen, um den Verlust weiterer Arbeitsplätze zu verhindern.

HOCHWASSERSCHUTZ

Von dem nach den Fluten als Konsequenz formulierten Wunsch „Gebt den Flüssen mehr Raum“ ist weder an der Elbe noch an der Oder viel zu spüren. Allein im brandenburgischen Oderabschnitt hatte das Landesumweltamt vorgeschlagen, rund 6000 Hektar Land als mögliche Überflutungsflächen auszuweisen. Hier sollte auf Häuser, Ställe und intensive Landwirtschaft verzichtet werden. Nach zehn Jahren stehen aber gerade einmal 180 Hektar zubuche. Diese Polder liegen weit im Norden, sie bewirken nur eine geringe Senkung des Hochwasserscheitels. Mehr Nutzen hätten aus Sicht von Experten und Umweltschützern Flächen weiter südlich.

Kurz nach der Aufhebung des Katastrophenalarms im August 1997 war sogar von einer teilweisen Räumung der überfluteten Ziltendorfer Niederung bei Frankfurt (Oder) und des 50 Kilometer nordöstlich von Berlin gelegenen Oderbruchs die Rede. Doch die Anwohner gingen auf die Barrikaden. So blieb am Ende nur die Neuzeller Niederung bei Eisenhüttenstadt übrig. Hier soll ein 1400 Hektar großer Polder gebaut werden, in dem die Wassermassen folgenlos ablaufen könnten. Die Oder hat im Verlauf der vergangenen 100 Jahre durch Begradigungen und Eindeichungen für die Landwirtschaft und die Schifffahrt 80 Prozent der ursprünglich 380 000 Hektar großen Überschwemmungsflächen verloren.

An der Elbe läuft seit 2006 das bisher größte Projekt zur Verlegung eines Deiches. In der Nähe der Prignitzer Kleinstadt Lenzen in Brandenburg wird ein rund sieben Kilometer langer Damm in bis zu 1300 Metern Entfernung vom Ufer gebaut. Zwischen dem alten und dem neuen Deich entsteht somit eine 425 Hektar große Überflutungsfläche, wo ein ursprünglicher Auwald entstehen soll. Der alte Damm erhält sechs Schlitze, durch die das Hochwasser abfließen kann. In dem Gebiet liegt der sogenannte Böse Ort, in dem die Elbe fast im 90-Grad-Winkel auf den Deich trifft. Hier konnte ein Deichbruch im Sommer 2002 und im Frühjahr 2006 nur mit Tausenden Sandsäcken verhindert werden. Die neue Fläche soll den Druck erheblich mindern. Ingenieure haben eine Senkung des Wasserspiegels um 25 bis 35 Zentimeter errechnet. Selbst im 25 Kilometer oberhalb der „Rückdeichung“ gelegenen Wittenberge würde der Hochwasserscheitel noch um fünf Zentimeter niedriger liegen. Ein ähnliches Projekt scheiterte im Storchendorf Rühstädt am massiven Widerstand von Jägern, Anglern und Landwirten.

Die Elbe hat durch Begradigungen – sie ist heute 110 Kilometer kürzer – und Eindeichungen bis zu 80 Prozent ihrer natürlichen Überschwemmungsflächen verloren. In Sachsen, das vom Elbehochwasser am schwersten betroffen war, wurde nur ein einziger Deich zurückverlegt. Der Ort Röderau-Süd, der Anfang der 90er Jahre sehenden Auges in einem Überflutungsgebiet gebaut worden war, wurde aufgegeben. Die rund 150 Familien wurden entschädigt. Sie haben ihre Häuser in den umliegenden Städten und Dörfern neu gebaut. Sonst ist in Sachsen nichts weiter geplant.

In Sachsen-Anhalt dagegen wird es im Lödderitzer Forst, einem Teil des Biosphärenreservats Mittlere Elbe, eine große Deichrückverlegung geben, die immerhin 600 Hektar neue Überschwemmungsfläche bringen soll. Das Projekt wird von der Umweltstifung WWF betreut und mitfinanziert. 2008 soll mit dem Bau des neuen, sieben Kilometer langen Deichs begonnen werden. Das wird rund zehn Millionen Euro kosten. Davon tragen der Bund 75, das Land 15 und der WWF zehn Prozent. Die neue Überflutungsfläche soll den Hochwasserscheitel um 28 Zentimeter senken.

KATASTROPHENSCHUTZ

Bei der Elbeflut zeigten sich die Schwächen eines föderalen Katastrophenschutzes deutlich. Helfer standen tagelang sinnlos herum, weil niemand von ihnen wusste. Und hätte nicht die Freiwillige Feuerwehr Nürnberg sich selbst zur Sandsackzentrale erklärt, hätte die Verteilung vermutlich auch nicht so gut geklappt. Schon nach den Terroranschlägen in den USA 2001 begann die Debatte darüber, ob es noch zeitgemäß ist, dass der Bund für den Zivilschutz, also den Kriegsfall, die Länder für Naturkatastrophen zuständig sind. Das sichtbarste Ergebnis der Diskussion: das 2004 gegründete Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Zudem finanziert der Bund seither ein gemeinsames Melde- und Lagezentrum, wo alle Informationen, auch der Feuerwehren und Hilfsorganisationen, zusammenfließen. Das größte Projekt, die Einführung eines digitalen Polizeifunks, an dem am Ende auch Feuerwehren und Hilswerke beteiligt sein sollen, zog sich fast zehn Jahre hin. Schon vor der Elbeflut war klar, dass die Polizei mit ihrem Analogfunk, der problemlos abgehört werden kann, nicht auf der Höhe der Zeit war. Am 20. Juni2007 wurde der Probebetrieb in einigen Ländern, unter anderen Berlin, aufgenommen. Bis Mitte 2008 soll dieses „derzeit größte technische Modernisierungsprojekt Deutschlands“ (Innenminister Wolfgang Schäuble) dann tatsächlich zur Verfügung stehen.

INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT

Schon vor den Jahrhunderthochwassern gab es internationale Flusskommissionen an Elbe und Oder. Aber in beiden Fällen gewannen sie erst danach an Bedeutung. Dabei hatte die Elbe-Kommission schon vor der Flut einen Bericht vorgelegt, wonach mehr als die Hälfte der rund 1000 Kilometer Elbe-Deiche in Deutschland dringend sanierungsbedürftig seien. Ein Großteil der Wiederaufbaumittel für öffentliche Infrastruktur ist denn auch in die Deichsanierung und -erhöhung geflossen. Das Ziel, größere Rückhalteräume zu schaffen, blieb auch in Tschechien und Polen untergeordnet.

KRISENKANZLER

Helmut Kohl (CDU) besuchte die Oder während der Flut gleich zweimal. Im Bundestag versprach er daraufhin: „Was immer in unseren Kräften steht, wird getan, muss getan werden.“ Außerdem wollte er den Flüssen „mehr Raum geben“. Noch überzeugender geriet das Krisenmanagement 2002. Gerhard Schröder (SPD) stapfte in Gummistiefeln durch das zerstörte Grimma und versprach die größte Wiederaufbauaktion in der Geschichte der Bundesrepublik. Zur gleichen Zeit gab es Bilder seines Herausforderers, des Unions-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber (CSU), von der sehr trockenen Insel Juist. Davon erholte sich Stoiber nicht mehr, Schröder gewann die Wahl – wenn auch knapp.

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