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Politik: Hoffen auf Straßburg

Opfer der Bodenreform von 1945 verlangen höhere Entschädigung

Von Matthias Schlegel

Deutschland steht schon wieder vor Gericht. Vom heutigen Donnerstag an verhandelt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg über die Klage eines Dutzends jener Alteigentümer, denen die sowjetische Besatzungsmacht zwischen 1945 und 1949 Grund und Boden genommen hatte, weil sie als Kriegsverbrecher abgestempelt worden waren. Im Zuge der Bodenreform wurde das Land dann an Neu- und Kleinbauern verteilt. Die Kläger beschweren sich in Straßburg, dass der ihnen durch ein Bundesgesetz von 1994 gewährte Ausgleich für das erlittene Unrecht viel zu niedrig sei.

Erst am vergangenen Donnerstag hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die Rechtsprechung in Deutschland korrigiert: Die entschädigungslose Enteignung der Erben von ostdeutschem Bodenreformland durch die Bundesrepublik verstoße gegen die Menschenrechte, urteilten die Straßburger Richter einstimmig. Vor einer Woche ging es also um die Begünstigten der Bodenreform. Diesmal geht es um die Opfer der Bodenreform – das ist der Unterschied. Doch es gibt eine wichtige Gemeinsamkeit: In beiden Fällen handelt es sich um Grundstücke, die an den Staat gefallen sind und mit deren Verkauf die Bundesrepublik viel Geld erlöst.

In Deutschland waren die Alteigentümer nach der Wiedervereinigung vor höchsten Gerichten mehrfach mit dem Ansinnen gescheitert, ihren Grund und Boden zurückzubekommen. 1994 wurden ihnen mit dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) zumindest gewisse Zugeständnisse gemacht. So konnten sie bevorzugt und besonders günstig Land erwerben, außerdem wurde ihnen ein Ausgleich für den Eigentumsverlust zugestanden. Allerdings fand die Entschädigung in Form so genannter gestaffelter Schuldverschreibungen statt, die erst seit diesem Jahr greifen. Und: Die Höhe des Ausgleichs unterliegt einer degressiven Kürzung – das heißt, je höher der Verkehrswert des verlorenen Vermögens war, desto geringer fällt die Entschädigung aus.

Die Alteigentümer haben vor deutschen Gerichten auch gegen diese Praxis geklagt – erfolglos. Sie machen geltend, dass sie zum Teil mit Entschädigungen abgespeist wurden, die bei lediglich drei oder vier Prozent des aktuellen Verkehrswertes der Grundstücke liegen. Am 22. November 2000 wies das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zwar entsprechende Verfassungsbeschwerden zurück. Es begründete dies unter anderem damit, dass der Staat bei der Bemessung von Entschädigungen durchaus seine finanziellen Möglichkeiten und die besonderen Aufbauleistungen in den neuen Ländern berücksichtigen dürfe. Allerdings bemängelten vier der acht Verfassungsrichter das niedrige Niveau mancher Entschädigungen.

Unterdessen hat Bundeskanzler Schröder den Ländern klar gemacht, dass sie allein für die Forderungen der Bodenreform-Erben aus dem Urteil vor einer Woche aufkommen müssen. Die Bundesregierung sei aber bereit, in Straßburg Einspruch einzulegen, wenn die Länder dies wollten.

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