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Politik: Hohe Haftstrafen für türkische Soldaten

Schwurgericht: Bombenanschlag im Kurdengebiet sollte neue Unruhen provozieren

Istanbul- Zum ersten Mal hat ein Gericht in der Türkei hohe Haftstrafen gegen Soldaten der Armee verhängt, die in einer Art schmutzigem Krieg gegen Kurden vorgegangen waren. Zwei Unteroffiziere wurden zu jeweils fast 40 Jahren Haft verurteilt, weil sie im Kurdengebiet einen Bombenanschlag verübt hatten, um dort neue Unruhen zu provozieren. Selbst nach Abzug der in der Türkei üblichen Strafnachlässe müssen die angeklagten Ali Kaya und Özcan Ildeniz damit rechnen, jeweils etwa 25 Jahre im Gefängnis zu verbringen. Die Urteile des Schwurgerichts in der ostanatolischen Provinzhauptstadt Van müssen noch vom obersten Berufungsgericht der Türkei überprüft werden, doch Medien und Menschenrechtler sprechen schon jetzt von einem historischen Urteil und einem Sieg für den Rechtsstaat.

Kaya und Ildeniz sind Mitglieder von JITEM, dem Geheimdienst der türkischen Gendarmerie. Sie verübten am 9. November 2005 in der Stadt Semdinli im Kurdengebiet einen Bombenanschlag auf den Buchladen eines ehemaligen Mitgliedes der kurdischen Rebellengruppe PKK. Dabei kam ein Kunde in dem Laden ums Leben. Kaya, Ildeniz und der ebenfalls an der Tat beteiligte PKK-Überläufer Veysel Ates wurden unmittelbar nach der Explosion von einer wütenden Menschenmenge festgehalten. Laut Anklage sollten mit der Gewalttat neue Kurdenunruhen angestoßen und der Weg der Türkei in die EU erschwert werden. Die Angeklagten wiesen die Vorwürfe zurück. Dass Soldaten der Armee wegen illegaler Umtriebe vor Gericht gestellt und verurteilt werden, ist im EU-Bewerberland Türkei immer noch sehr ungewöhnlich.

Der Fall Semdinli hatte auch deshalb für Aufsehen gesorgt, weil der designierte Armeechef Yasar Büyükanit den Hauptbeschuldigten Ali Kaya öffentlich als „guten Jungen“ lobte. Der ermittelnde Staatsanwalt wurde auf Druck der Armee entlassen, nachdem er in seiner Anklageschrift auch Büyükanit erwähnt hatte. Verurteilt wurden die Angeklagten schließlich wegen Mordes, Mordversuches und wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die Verkündung des Urteils gegen den PKK-Überläufer Ates wurde vertagt, weil er derzeit keinen Anwalt hat. Eine „historische Entscheidung“ sei gefällt worden, kommentierte die reformorientierte Zeitung „BirGün“ am Dienstag. Als wertvolle Entscheidung für die Demokratie und die Justiz des Landes lobte der Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins IHD, Yusuf Alatas, die Urteile. Das Gericht habe die klare Botschaft ausgesandt, dass „schmutzige Angelegenheiten im Namen des Staates“ geahndet würden. Auch der sozialdemokratische Parlamentsabgeordnete Esat Canan, der nahe Semdinli seinen Wahlkreis hat, beglückwünschte die Richter. Das Urteil zeige, dass jeder vor dem Gesetz gleich sei. Die Anwälte der Angeklagten kündigten Einspruch gegen die Entscheidung an und warfen dem Gericht vor, es habe das Urteil übereilt gefällt und der EU damit einen Gefallen tun wollen. Der Hauptangeklagte Kaya fehlte bei der Urteilsverkündung. Er sei wegen der schlechten Bedingungen in der Untersuchungshaft erkrankt, sagte sein Anwalt.

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