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Verschiedene Perspektiven. Die Verwandlung des Horst Seehofer vom Radaubruder zum schnurrenden Kätzchen neben Angela Merkel findet auf offener Bühne statt.

© dpa

Horst Seehofer, Angela Merkel und die Flüchtlinge: Vom Radaubruder zum schnurrenden Kätzchen

Wie der Streit zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel Flüchtlinge beigelegt wurde – und warum die SPD unfreiwillig der CSU aus der Patsche half.

Von Robert Birnbaum

Man habe, sagt Angela Merkel, eine „Agenda für die Bewältigung dieser großen nationalen Herausforderung“ gefunden. „Es gibt nicht einen Vorschlag, der sozusagen die Lösung für das Ganze bedeutet“, ergänzt Horst Seehofer. Aber eigentlich ist es egal, was sie sagen. Die CDU-Chefin und der CSU-Chef hätten sich genauso gut stumm vor dem Saal der Unionsfraktion aufbauen können. Schließlich zelebriert der Auftritt nur, was seit Sonntag klar ist: Der Flüchtlingsstreit in der Union ist vorläufig beigelegt.

Andererseits – speziell der CSU-Chef hat viel zu erklären. Am Montagabend ist er Gast der CSU-Landesgruppe, Dienstagfrüh kommt er mit Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt zum Pressestammtisch in der Landesvertretung. Seehofer hat wochenlang gegen Merkel geholzt, von „Fehler“ gesprochen und mit „Notwehr“ gedroht.

Seit dem Verhandlungsmarathon im Kanzleramt am Wochenende herrscht Einigkeit zwischen CDU und CSU. Das Friedenspapier ist allerdings nicht so ausgefallen, dass man es als einen Sieg der CSU deuten muss. Um den ganzen Krawall zu rechtfertigen, bedarf es einer Lesehilfe.

Nun kennt sich Seehofer damit aus. Die Verwandlung auf offener Bühne vom Radaubruder zum schnurrende Kätzchen gehört zu seinen erprobten Zaubertricks. Dabei hilft zum Beispiel die Wortnebelmaschine. Was denn – er soll Merkel ein Ultimatum gestellt haben? „Man ist ja immer wieder überrascht, was aus normalen Sätzen alles wird.“ Er hätte Merkel auf CSU-Kurs bringen wollen? „Das ist mir piepegal, wer da gewonnen hat!“

Egal ist es Horst Seehofer gar nicht

Egal ist es ihm aber überhaupt nicht. Einmal gibt er einen Hinweis, wie sehr Merkel und er um jede einzelne Formulierung gerungen haben in den zehn Stunden, die sie am Samstag und Sonntag mit den Fraktionsspitzen zusammensaßen. „Begrenzung oder Reduzierung – das ist mir jetzt nicht noch ein Wochenende wert“, sagt Seehofer.

Dabei liegt genau zwischen diesen beiden Worten der Unterschied zwischen der Kanzlerin und dem bayerischen Ministerpräsidenten. „Begrenzen“ hätte eine Grenze logisch eingeschlossen. Jetzt hält das Positionspapier als Ziel fest, „die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren“. Das lässt sich nicht mal indirekt zum Ruf nach einer Obergrenze umdeuten.

Seehofer hat also so furchtbar viel nicht erreicht an Kurs- und Tonfallwechsel, den er von Merkel eingefordert hat. Doch zu seinem Glück gibt es die SPD. Zentraler innenpolitischer Punkt des Unionspapiers sind die „Transitzonen“ für Asylbewerber ohne echte Aufnahmechance. Die SPD hat das von Anfang an abgelehnt, nach dem Wochenende lud sie scharf nach. „Haftanstalten“, schimpfte Parteichef Sigmar Gabriel, „Guantanamo“, twitterte Berlins Landeschef Jan Stöß.

Bayerns Ministerpräsident kann sich als Staatsmann präsentieren

Derart grässlich malten sie diese „Transitzonen“ aus, dass die CSU-Landesgruppenchefin vergleichsweise richtig moderat klingt: „Ein Signal, das besagt, Deutschland lädt nicht zur Einwanderung ein“, verspricht sich Gerda Hasselfeldt von dem Schnellverfahren analog zur Flughafenregelung.

Seehofer bieten die Attacken erst recht die Gelegenheit, sich als Staatsmann zu präsentieren. Wenn die Parteivorsitzenden der Koalition am nächsten Donnerstag erneut zusammentreffen, dann müsse doch „unter drei erwachsenen Menschen“ eine Einigung möglich sein. Und im Übrigen gebe es beim Eishockey den Spruch: „Wenn ein Stürmer überhitzt ist, muss der in die Eisbox.“

Wie soll die CSU sich zur Türkei verhalten?

Gabriel scheint da inzwischen gewesen zu sein. Beim Tag der Deutschen Industrie rüstet er ab: „Manchmal ist nicht alles so dramatisch, wie es sich liest“, versichert der Vizekanzler, und er nennt es plötzlich „ziemlich albern“, über Transitzonen zu streiten – wo dort ja im Moment doch bloß 2,4 Prozent der Flüchtlinge abgefertigt würden!

Das sieht Seehofer freilich perspektivischer. Schließlich sollten weitere Staaten zu sicheren Drittländern werden, etwa die Türkei. Dass gerade eine Absprache mit der Türkei politisch etwas kosten werde, was der CSU nicht nur gefällt, ist dem CSU-Chef klar. Aber im Zuge der neuen Einigkeit verspricht er Merkel dafür Rückendeckung: „Ich bin in dem Fall für Realpolitik.“

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