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Politik: Hundert Jahre Geiselhaft

Kolumbianische Rebellen lassen die letzten entführten Polizisten und Soldaten frei. Aber Präsident Santos reicht das nicht für Friedensverhandlungen.

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„Stellt euch einfach vor, man hat mich für eine Besorgung fortgeschickt und sie zieht sich etwas hin.“ Diesen tröstenden Satz hatte Wilson Rojas Medina seiner Mutter vor einigen Jahren aus dem Dschungel geschrieben. Aus dem „etwas“ wurden 13 Jahre für den von der linksgerichteten Farc-Guerilla entführten kolumbianischen Polizisten. 13 Jahre verschleppt im Dschungel, angekettet, geplagt von Moskitos, abgemagert von Gewaltmärschen, Parasiten und dem immergleichen Reis mit Bohnen.

Als man ihn entführte, war er 23, heute ist er ein gestandener Mann von 36 Jahren. Am Montag wurde Rojas zusammen mit neun anderen Uniformierten freigelassen – die sechs Polizisten und vier Unteroffiziere des Heeres waren von den „Revolutionären Streitkräften Kolumbiens“ (Farc) bei Angriffen in den Jahren 1998 und 1999 entführt worden. Müde und gealtert, aber überglücklich winkten sie in die Kameras, als sie aus dem brasilianischen Rot-Kreuz-Hubschrauber stiegen, der sie in die Freiheit geflogen hatte. Die Freilassung ließ in Kolumbien die Debatte über Friedensgespräche mit der ältesten noch aktiven Guerilla des Kontinents wieder aufleben.

Brasilien, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und die linksliberale Politikerin Piedad Córdoba hatten die Freilassung der letzten politischen Gefangenen der Farc erwirkt. Sie wurden im südkolumbianischen Dschungel den internationalen Vermittlern übergeben und anschließend über die Provinzstadt Villavicencio in die Hauptstadt Bogota geflogen, wo sie von ihren Angehörigen und Ärzten erwartet wurden. Zusammen haben die Verschleppten mehr als 100 Jahre in Geiselhaft verbracht. Ursprünglich sollten sie gegen inhaftierte Guerilleros ausgetauscht werden.

Die Farc wollten die nun bedingungslose Freilassung als humanitäre Geste des guten Willens verstanden wissen. Vor kurzem hatte Farc-Anführer Rodrigo Londoño Echeverri alias „Timochenko“ außerdem Entführungen als Mittel des politischen Kampfes verboten und Bereitschaft zu Friedensverhandlungen verkündet. Ein Angebot, auf das Präsident Juan Manuel Santos bisher nicht eingegangen ist. Er begrüßte am Montag die Freilassung und dankte den Vermittlern. Ob und wann es Friedensverhandlungen gäbe, werde aber alleine er entscheiden. Noch hätten die Farc nicht genügend ihren Friedenswillen demonstriert. Für die Aufnahme eines politischen Dialogs sei der endgültige Stopp der Gewalt eine wichtige Bedingung.

Santos, ein Liberaler, der den Militärs nahesteht, wandert auf schmalem Grat: Auf der einen Seite muss er einflussreiche, ultrarechte Kreise einbinden, die Gespräche mit der Guerilla kategorisch ablehnen; auf der anderen hat er der Erwartung der Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft gerecht zu werden, die auf Aussöhnung hofft und setzt.

Erst in der vergangenen Woche tötete das kolumbianische Militär in einer abgelegenen Dschungelregion 32 Guerilla- Kämpfer. „Dies macht deutlich, das unsere Streitkräfte ihre Offensive fortsetzen und nicht nachlassen werden“, hatte Santos danach gesagt. Der Einsatz galt als Teil seiner neuen Strategie, wichtige militärische Einheiten und Geldquellen der Rebellengruppe anzugreifen und sich nicht mehr nur auf das Auffinden und Töten von Anführern zu konzentrieren. Bei einem Einsatz in der vorvergangenen Woche waren 33 weitere Rebellen getötet worden. In den vergangenen zehn Jahren kamen zahlreiche Führungsfiguren und Gründungsmitglieder der Guerillabewegung ums Leben und die Truppenstärke halbierte sich fast auf rund 8000 Kämpfer.

Es sei an der Zeit, dass die Regierung Friedensgespräche mit den Farc ernsthaft erwäge, sagte der Politologe Aurelio Suárez im Fernsehsender NTN24. Die Geschichte habe gezeigt, dass Konflikte dieser Art nur durch Verhandlungen beigelegt werden können. Wenn die Regierung, wie vor einigen Jahren, mit den rechtsextremen Todesschwadronen zu einer Verhandlungslösung gelangt sei, so Suárez, dann sei dies auch mit den Farc möglich. Der UN-Menschenrechtsbeauftragte für Kolumbien, Todd Howlan, wertete die Freilassung ebenfalls als positives Zeichen, erinnerte aber daran, dass sich die Farc noch immer und fortlaufend schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig machen, indem sie Landminen legen und Minderjährige in ihren Reihen kämpfen lassen. Nach Angaben der Stiftung País Libre sind außerdem noch rund 400 entführte Zivilisten in den Händen der sich als marxistisch verstehenden Guerilla, die sich über Jahre nicht zuletzt mit Lösegelderpressungen finanzierte.

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