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Politik: Hunderttausende gegen den Präsidenten

Brasiliens Staatschef Lula hat Ärger mit Landlosen – und den Beamten

Von Bernd Radowitz,

Rio de Janeiro

Gerade noch als Hoffnungsträger gefeiert, bläst Brasiliens neuem Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva jetzt kräftig der Wind ins Gesicht. Dabei war das erste halbe Jahr seiner Regierungszeit erfolgreich verlaufen. Er überzeugte mit einer strikten Haushaltsdisziplin internationale Investoren und punktete mit einem „Null Hunger“-Programm, dass 46 Millionen Brasilianern aus der Armut helfen soll.

Doch jetzt will Lula eine Rentenreform durchsetzen, und prompt protestieren Beamte in ganz Brasilien. Die Reform würde erstmals die Rente der Angestellten im öffentlichen Dienst besteuern und das Rentenalter erhöhen. Damit soll das Defizit im staatlichen Rentensystem über die kommenden 20 Jahre um fast 14 Milliarden Euro gesenkt werden. Nachdem das Abgeordnetenhaus des Kongresses die Reform am Mittwoch in erster Lesung gebilligt hatte, protestierten über 50 000 Demonstranten vor dem Kongressgebäude in Brasilia. Etwa 400 000 Bundesangestellte streiken schon seit Wochen. Der Kongresspräsident rief vor kurzem sogar die Polizei gegen Reform-Gegner zur Hilfe, die eine Rentendebatte im Parlament verhindern wollten. Die im Fernsehen übertragenen Bilder von Angestellten, die von Polizisten über den Kongressboden gezerrt wurden, war für viele in Lulas linker Arbeiterpartei ein Schock. Noch nie wurde die Polizei in den Kongress gelassen, nicht einmal während der Militärdiktatur von 1964 bis 1985.

Negative Wirtschaftsdaten bringen die Regierung weiter in Bedrängnis. Um die Inflation zu senken, hat die Zentralbank seit Jahresanfang hohe Zinsen beibehalten. Der Leitzins wurde jüngst auf 24,5 Prozent gesenkt. Doch nach Expertenansicht wird so immer noch das Wirtschaftswachstum gedrosselt – für dieses Jahr werden nur noch 1,5 Prozent Zuwachs erwartet. Die Arbeitslosigkeit stieg seit Lulas Amtsantritt von 10,5 auf 13 Prozent, obwohl die Schaffung von mehr Jobs eines seiner Haupt-Wahlversprechen war.

Die Lage im Land ist explosiv. Rund 4000 obdachlose Familien haben am Donnerstag nach 19-tägiger Besetzung ein Gelände von Volkswagen im Bundesstaat Sao Paulo geräumt. Zuvor hatte ein Richter die Zwangsräumung des ungenutzten Geländes erlaubt. Gleichzeitig hat die traditionell mit Lulas Arbeiterpartei verbündete Landlosenbewegung MST weitere brachliegende Güter besetzt, um auf eine Landreform zu drängen. In mehreren Bundesstaaten haben Großgrundbesitzer illegale Landmilizen gebildet, um die Landlosen abzuwehren. Am Sonntag wurde ein MST- Führer erschossen.

Bernd Radowitz[Rio de Janeiro]

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