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© dpa/Pool

Hypo Real Estate: Bilanz des Schreckens

Die mit Steuergeld vor der Insolvenz gerettete Großbank Hypo Real Estate benötigt voraussichtlich weit mehr zusätzliches Kapital aus der Staatskasse als bisher bekannt. Das ergibt sich aus Unterlagen der Bundesbank, die dem Tagesspiegel vorliegen.

Berlin - Reichen die drei Milliarden Euro, die bisher gezahlt wurden? Oder kostet es zehn Milliarden? Oder müssen der Staat und seine Steuerzahler vielleicht mit 20 Milliarden Euro für die Verluste der seit Juni staatseigenen Bank Hypo Real Estate (HRE) geradestehen? Auch ein Jahr nach der Lehman-Pleite und der anschließenden spektakulären Rettungsaktion für den Münchner Bankriesen können weder das Bundesfinanzministerium noch das neue Management der HRE Auskunft darüber geben, wie teuer die Notverstaatlichung des Münchner Immobilien- und Staatsfinanzierers für die Staatskasse letztlich wird. Treuherzig hatte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) bei seiner Befragung im Untersuchungsausschuss des Bundestages vergangenen Monat noch versichert, dass jenen drei Milliarden Euro, die für den Aktienkauf und die anschließende Kapitalerhöhung schon geflossen sind, ja ein „Gegenwert“ in Form der Anlagen der Bank gegenüberstehe, deren „Werthaltigkeit“ eines Tages hoffentlich so sei, „dass wir sie auch wieder veräußern können“.

Doch diese Aussage war mindestens irreführend. Denn bereits zum Zeitpunkt von Steinbrücks Aussage war klar, dass die Verluste der HRE schon bisher so hoch ausgefallen sind, dass der Bund bis Ende des Jahres noch einmal bis zu sieben Milliarden Euro Kapital nachschießen muss – ein Umstand, der Steinbrück seit langem bekannt sein musste. Schon im Januar hatte das HRE-Management, das belegt ein Schreiben der Bundesbank vom 12. Januar, einen Kapitalbedarf von zehn Milliarden Euro angemeldet. Aber auch das wird voraussichtlich nur die bereits gebuchten Verluste ausgleichen. Einen Gegenwert für die staatliche Kapitalhilfe vermögen Wirtschaftsprüfer nicht zu erkennen. So bescheinigte jüngst die Prüfungsgesellschaft PWC in einem Gutachten für den vom Bund eingerichteten Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (Soffin), dass der „objektive Unternehmenswert der HRE Holding EUR 0,00 beträgt“.

Nun spricht sogar vieles dafür, dass selbst die bereits avisierten zehn Milliarden Euro nicht reichen werden, um die Rechnung für die HRE-Sanierung zu bezahlen. Denn aus Unterlagen und Berechnungen der Aufseher bei der Bundesbank ergibt sich, dass die neue Staatsbank noch weit mehr riskante Kredite und Wertpapiere in ihrem Bestand hat, als bisher bekannt. So heißt es in einem von der Münchner Niederlassung der Bundesbank erstellten „Eigenkapital-Szenario der HRE“ vom 6. Februar dieses Jahres, dass im Posten „Loans and Receivables“ (Kredite und Forderungen) der Bilanz „unrealisierte Verluste“ in Höhe von 16,3 Milliarden Euro enthalten seien. Mit anderen Worten: Wenn alle jene Kreditnehmer und Anleiheschuldner, deren Bonität am Markt derzeit als gering gilt, am Ende tatsächlich ihre Schulden nicht vollständig begleichen können, fehlen der HRE noch einmal 16 Milliarden. Diese Verluste mussten nur deshalb noch nicht gebucht werden, weil die Regierungen der Krisenstaaten den Banken vergangenen Herbst erlaubten, Wertpapiere, die am Markt im Wert gefallen waren, weiterhin zum Einkaufswert in der Bilanz zu buchen. Nur mussten sie dafür nicht mehr als Handelsware, sondern als Dauerkredit eingetragen werden. Das geht freilich nur so lange gut, bis die jeweiligen Anleihen oder Kreditpakete fällig werden. Müssten die Verluste so tatsächlich „realisiert“, also auf die Gewinn- und-Verlust-Rechnung angerechnet werden, dann stiege der Bedarf der HRE für zusätzliches Kapital auf insgesamt 26 Milliarden Euro, kalkulierten die Bundesbank-Experten. Das wären sechs Milliarden Euro mehr als die jährlichen Staatsausgaben für alle deutschen Universitäten zusammen.

Ein solches Szenario, erklärte dagegen ein Sprecher der HRE, sei „nicht realistisch“. Die von den Bundesbankern genannten „unrealisierten Verluste“ seien im Geschäftsbericht auch durchaus als „stille Lasten“ genannt. Aber geplant sei, die entsprechenden Investments erst „über die Zeit marktschonend und werterhaltend“ abzubauen. Nur weil einige Kreditnehmer derzeit an Bonität verloren hätten, heiße dies schließlich nicht, dass sie am Ende nicht zahlen könnten. Zur „Ableitung eines möglichen konkreten Kapitalbedarfs“ seien die Angaben daher „ungeeignet“.

Doch ausgerechnet der bis Juli amtierende Aufsichtsratsvorsitzende, der frühere Deutsch-Banker Michael Endres, sieht das ganz anders. Das Kreditportfolio der HRE sei „hoch problematisch“, erklärte er kürzlich in einem Interview, die Bank habe „ganz klar ein Solvenzproblem“. So habe die HRE in vielen Ländern Immobilienkredite vergeben, in denen sich die HRE-Mitarbeiter nicht auskannten. Zudem habe die HRE in großem Umfang Geld an Finanzinvestoren wie die Firma Cerberus vergeben, und deren Immobilienkäufe mit bis zu 80 Prozent des Einkaufswertes finanziert. „Und zuweilen steht hinter einem Millionenkredit nur eine kleine GmbH mit 100 000 Euro Eigenkapital – und sonst praktisch keine Sicherheit“, warnte Endres. Es würde ihn deshalb „nicht wundern, wenn zehn Milliarden Euro Kapitalspritze nicht reichen würden“. Der Milliardenkrimi um Deutschlands teuerste Beinahepleite ist wohl noch lange nicht zu Ende.

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