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Politik: „Ich fühle mich jung genug für neue Aufgaben“

Erweiterungskommissar Verheugen über seine Zukunft in Brüssel – und die Wahl zum EU-Parlament

Die Beteiligung an der Europawahl wird voraussichtlich wieder gering ausfallen. Wie ist das zu erklären?

Leider wissen immer noch zu wenig Menschen, dass das EUParlament kein Papiertiger ist, sondern ein einflussreiches Parlament. Ein Grund ist mangelnde Transparenz. Viele fragen sich noch, wer macht was, wie und warum in der EU? Deshalb wissen viele nicht, was sie mit ihrer Stimmabgabe bewirken können. Solange wir das nicht ändern, ist es leicht, mit europäischen Themen auf innenpolitischen Stimmenfang zu gehen.

Rechnen Sie mit einem Rechtsruck im Parlament durch die neuen Staaten?

Nein. Es wird hier und da konservative Zuwächse geben, in anderen Ländern werden Sozialdemokraten gewinnen. Was aber passieren kann, vor allem bei geringer Wahlbeteiligung, ist, dass populistische, nationalistische, antieuropäische Kräfte mehr Zulauf finden als bisher. Das ist gefährlich und sollte Wählerinnen und Wähler in Deutschland aufrütteln.

Der Bundeskanzler hat sich auf Sie als seinen Mann in Brüssel festgelegt. Entspricht das auch Ihren Zukunftsvorstellungen?

Auch ich sehe meine Zukunft in Brüssel.

Sie wurden bereits für den Posten eines Superkommissars für Industriepolitik genannt, der Vizepräsident der Kommission werden soll.

Ich frage mich manchmal, was andere Menschen bewegt, wenn sie die Formulierung Superkommissar hören: Ich finde sie gefährlich und zudem ist sie falsch. Es geht darum, mehr Koordinierung in der Kommission zu schaffen, insbesondere weil dem Kollegium 25 Kommissare angehören werden. Ich fände es richtig, wenn es mehrere Vizepräsidenten geben würde, um eine bessere Kohärenz sicherzustellen. Wer was dabei genau macht, entscheidet aber der nächste Präsident.

Sie sind gelernter Außenpolitiker. Könnte auch dies ein neues Aufgabenfeld sein?

Ich fühle mich auch mit 60 noch jung genug für neue Herausforderungen.

Sehen Sie noch eine Chance für die europäische Verfassung?

Aber ja. Ich denke, der Europäische Rat wird sich auf einen Entwurf verständigen. Dann beginnt die Ratifizierung. Hier liegt die spannende Frage: werden die politischen Eliten für diesen Verfassungsvertrag in der Öffentlichkeit kämpfen? Wenn sie das tun, so glaube ich, geht die Ratifikation gut, im Grunde wissen die Bürgerinnen und Bürger, dass viele Probleme weder in der Gemeinde, der Stadt, der Region oder durch das Land allein gelöst werden können. Aber sie müssen genau wissen, wohin die Reise geht und zu welchen Bedingungen. Deshalb wiederhole ich immer wieder: die Information und das Gespräch mit den Menschen sind das A und O der Europapolitik.

Welche Prognose stellen sie für den Beitritt der Türkei?

Keine. Zunächst geht es darum, ob die Türkei das politische Kriterium erfüllt, was zwingende Voraussetzung für die Aufnahme von Verhandlungen ist. Klar ist: die Türkei hat tief greifende, beeindruckende Reformen ihres politischen Systems unternommen, so dass sie sich in zwei Jahren mehr geändert hat als in den 50 Jahren zuvor. Jetzt geht es darum, diese gesetzlichen Reformen in der Praxis umzusetzen. Eine kritische Masse an Umsetzung ist vor Ende des Jahres erforderlich, damit der Reformprozess dauerhaft und glaubwürdig ist.

Das Gespräch führte

Mariele Schulze Berndt

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