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Politik: „Ich fühlte mich absolut sicher“

Der frühere Staatssekretär Chrobog über die Gründe für seine Reise und seine Entführung in Jemen

Den Entführern von Jürgen Chrobog ist auch nach dessen Angaben zunächst nicht bewusst gewesen, wen sie gekidnappt haben. In einem Gespräch mit dem Tagesspiegel sagte der 65-Jährige am Sonntag: „Sie haben das erfahren, als es im Fernsehen lief. Da sagten sie mir: Du kannst das doch, Gefangene freibekommen.“ Inhaftierte Stammesangehörige wollten die Kidnapper aus dem Gefängnis freipressen: „Es ging ja nicht um uns, es ging um die Beilegung eines Stammeskonfliktes“, stellte Chrobog am Tag nach seiner Freilassung klar.

Kann deutschen Urlaubern jetzt noch zu einer Reise in den Jemen geraten werden? Chrobog will weder Empfehlungen noch Warnungen aussprechen. „Das überlasse ich dem Auswärtigen Amt.“ Nur so viel: „Der Jemen ist ein unglaublich schönes Reiseland, aber die Bedingungen müssen stimmen.“ Vorwürfe, er habe mit seiner Reise durch den Jemen leichtsinnig gehandelt, weist der Ex-Staatssekretär entschieden zurück. „Das ist absolut grotesk. Ich würde nie in den Irak fahren oder nach Afghanistan oder mir prähistorische Stätten anschauen in Kolumbien.“

„Ich fühlte mich absolut sicher hier, unter dem Schutz der Regierung, die die Reise organisiert hat.“ Die Einladung sei vom Außenministerium in Sanaa gekommen, „aber ich war auf eigene Kosten unterwegs“, betonte Chrobog. Auch die Route hätten die Jemeniten ausgearbeitet: „Ich wollte eigentlich ganz woanders hin.“ Der jemenitischen Regierung macht er dennoch keinen Vorwurf. „Der Stammeskonflikt in dieser Region wurde unterschätzt, aber das kann immer passieren.“ Was also gegen weitere Entführungen tun? In seiner Geiselhaft habe er „märchenhafte kleine Kinder mit Kalaschnikow“ gesehen, sagte Chrobog. „Die können nicht lesen und schreiben. Wir brauchen Bildung, Bildung, Bildung, das habe ich auch dem Präsidenten gesagt.“

An den Moment der Geiselnahme am Mittwoch erinnert sich der ehemalige Krisenmanager des Auswärtigen Amtes mit Schrecken. 800 Meter hinter dem Ort al-Aram sei es rein in die Berge gegangen, „auf einer furchtbaren Piste“. Die Nacht zum Donnerstag verbrachte die Familie zusammen mit ihren Fahrern, dem Reiseleiter und den Kidnappern in einem Zeltlager im Gebirge: „Es wurde sogar Vieh für uns geschlachtet.“ Am nächsten Tag mussten sie weiter. Wieder über eine „furchtbare Piste, das war das Gefährliche: wenn mit dem Auto etwas passiert, oder eine Entzündung, eine Verletzung, dann sind Sie da oben verloren.“ Nach stundenlanger Fahrt war ein abgelegenes, „wunderschönes Dorf“ aus alten Steinhäusern erreicht, das Versteck für die nächsten zwei Tage.

In dem Dorf stößt der Ex-Diplomat auf „große Würde, Gastfreundschaft“. Seine Familie, Frau und Söhne, allesamt „welterfahren“, hätten die Geiselhaft „mit Sportsgeist“ gemeistert. Trotzdem: „Wir sagten ihnen: Ihr schadet euch, eurem Stamm, dem Land, was ihr macht ist absolut falsch.“

Mit dem Mobiltelefon des Fahrers konnten die Chrobogs telefonieren – und verhandeln. „Einmal wollten sie uns das Handy wegnehmen, da protestierten wir und drohten, nicht mehr bei den Verhandlungen zu helfen.“ An den Verhandlungen war vor allem Magda Gohar-Chrobog beteiligt, sie spricht Arabisch. „Ich habe mit dem Innenminister gesprochen, meine Frau hat immer wieder mitverhandelt“, sagte Chrobog. „Anfangs liefen die Verhandlungen meist vormittags“, der Nachmittag ist im Jemen fast immer dem entspannten Kauen der sanften Nationaldroge Qat vorbehalten. „Ab zwei habe ich keinen gesehen, der nicht eine dicke Qat-Backe hatte.“

„Das Haus, in dem wir untergebracht waren, haben wir mit 20 Leuten und vielen Kalaschnikows geteilt“, sagt Chrobog. „Teilweise lagen die Kalaschnikows sogar in unserem Zimmer – bis meine Frau protestierte.“ Dort, wo ihnen die Entführer abends die Matratzen zum Schlafen ausrollten, wurde zum Teil auch verhandelt. „Hunderte Leute waren da im Dorf beteiligt, haben sich manchmal angebrüllt, ganz archaisch.“ Manchmal seien sie sehr nervös geworden, sagte Chrobog. „Einmal war das ganze Tal vom Militär eingekreist, Militärhubschrauber über dem Dorf.“ Da habe er den Soldaten mit Hilfe seiner Frau bedeutet, wieder abzurücken. „Als die Entführer den Druck auf uns mit einer Trennung erhöhen wollten, haben wir uns massiv dagegen gewehrt.“ Die älteren Scheichs hätten sich letztlich durchgesetzt, mit ihrer Autorität gegen die unerfüllbaren Forderungen der Jungen aus dem gleichen Stamm, erklärte Chrobog die Einigung vom Samstag. Er bedankte sich bei den an den Verhandlungen beteiligten Regierungen in Berlin und Sanaa. „Die Krisenreaktionskräfte und der deutsche Botschafter waren klasse“, lobte er.

Klaus Heymach[Sanaa]

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