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Politik: „Ich soll den Kopf hinhalten“

Bundestagspräsident Norbert Lammert über Werte, Abgeordnetenbezüge und die „Bild“-Zeitung

Herr Bundestagspräsident, Sie versuchen gerade, eine Neuregelung der Abgeordnetenbezüge auf den Weg zu bringen. Mangelt es den Volksvertretern an Reformbereitschaft, wenn es um ihre Diäten und Pensionen geht?

Es gibt unterschiedliche Vorstellungen zwischen und in den verschiedenen Fraktionen. Ich bemühe mich deshalb, eine notwendige Diskussion in geordnete Bahnen zu lenken.

Eine schnelle Regelung scheint aber nicht in Sicht. Passt die Zögerlichkeit in eine Zeit, in der die Politik den Bürgern Einsicht in Einschnitte abverlangt?

Die von anderen verlangten Einschnitte haben sich die Abgeordneten doch seit Jahren ganz selbstverständlich zugemutet. Sie haben seit drei Jahren auf eine Anhebung ihrer Bezüge verzichtet. Inzwischen bleiben die Abgeordnetenbezüge deutlich hinter den gesetzlich vorgesehenen Orientierungsgrößen zurück.

Ein Bundestagsabgeordneter erhält derzeit 7009 Euro Entschädigung pro Monat, dazu eine steuerfreie Kostenpauschale in Höhe von 3647 Euro. Ist das zu wenig?

Im Abgeordnetengesetz ist eine Orientierung an den Gehältern von gewählten hauptamtlichen Bürgermeistern und Oberbürgermeistern mittlerer Kommunen sowie von Richtern an Bundesgerichten vorgesehen. Und dahinter bleiben die Bezüge der Abgeordneten seit Jahren zurück – im Augenblick um etwa zwölf Prozent.

Und das ist unzumutbar?

Nein, aber die Lücke zu den gesetzlich als angemessen definierten Bezügen sollte nicht noch größer werden. Ich habe deshalb vorgeschlagen, den entstandenen Rückstand hinzunehmen und für die nächsten Jahre lediglich eine Anpassung der Diäten im Maßstab der Entwicklung der Erwerbseinkommen vorzunehmen.

Für Unmut sorgen weniger die Diäten als die Pensionen. Nach acht Jahren im Bundestag erhält ein Abgeordneter 1682 Euro ab dem 65. Lebensjahr; wer 18 Jahre im Parlament gesessen hat, erhält bereits ab 55 eine Pension von fast 3800 Euro – ohne jemals Beiträge bezahlt zu haben. Halten Sie das für angemessen?

Dass Unterabteilungsleiter in Ministerien nach mindestens fünf Jahren bei Erreichen des Pensionsalters einen Versorgungsanspruch erlangen, der der im Gesetz vorgesehenen Orientierung entspricht, wird allgemein für angemessen gehalten. Den gleichen Anspruch erreichen Abgeordnete nach 18 Jahren im Bundestag nicht. Ich habe den Fraktionen ausdrücklich empfohlen, das Verhältnis zwischen Bezügen und Versorgung der Abgeordneten neu zu justieren.

Aber dann erst für die kommende Legislaturperiode.

Wenn man das Verhältnis zwischen Bezügen und Pensionen verändern will, kann das erst in der nächsten Wahlperiode in Kraft treten. Jeder, der für den Bundestag kandidiert, muss die Konditionen kennen, auf die er sich einlässt. Man müsste eine solche Veränderung, für die ich plädiere, also noch in dieser Legislatur beschließen. Deshalb geht der Vorwurf, ich würde die Sache auf die lange Bank schieben, völlig ins Leere. Das Gegenteil ist richtig.

In Nordrhein-Westfalen hat das Parlament die Diäten erhöht und zugleich die Kostenpauschale und die beitragsfreie Altersversorgung gestrichen. Wäre das kein Vorbild für den Bundestag?

Alle Landtagspräsidenten mit Ausnahme der Kollegin in Nordrhein-Westfalen haben mir empfohlen, das nicht zur Grundlage einer möglichen Neuregelung zu machen. In Düsseldorf werden die Aufwendungen für die private Altersversorgung auf das Gehalt aufgeschlagen. Das ist eher ein Etikettenwechsel und hat hohen bürokratischen Aufwand zur Folge.

Wie stellen Sie sich die Neuregelung vor?

Ich bin daran interessiert, dass ein neues Verhältnis zwischen Bezügen und Versorgung auch eine Mehrheit findet. Und deshalb unterbreite ich öffentlich keine Vorschläge.

Zusätzlich zu den Diäten beziehen etliche Abgeordnete Einkünfte aus Nebentätigkeiten, zum Teil in ähnlicher Größenordnung. Halten Sie die in der letzten Legislaturperiode beschlossene Pflicht zur Veröffentlichung solcher Einkünfte grundsätzlich für richtig?

Der Grundsatz war nicht streitig, die Ausgestaltung war und ist umstritten. Ich habe bei den Beratungen Einwände gegen einige Regelungen vorgetragen, die jetzt erhebliche Schwierigkeiten bereiten …

… Sie meinen die Klagen von sechs Abgeordneten gegen die Veröffentlichung ihrer Nebeneinkünfte, deretwegen Sie die Anwendung der neuen Regeln gestoppt haben.

Nein, die Anzeigepflicht gegenüber dem Bundestagspräsidenten wurde davon nicht berührt. Ich habe lediglich die Veröffentlichungspflicht mit der Zustimmung sämtlicher Fraktionen des Hauses aus Gründen des Rechtsschutzes ausgesetzt. Wenn das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis käme, dass mehrheitlich beschlossene Verhaltensregeln unzulässig in Persönlichkeitsrechte einzelner Abgeordneter eingreifen, dann wäre der Schaden ja bereits entstanden, der durch die Klage abgewendet werden soll.

Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung des Gerichts?

Etwa Mitte des Jahres werden wir hoffentlich Klarheit haben.

Sie selbst sind wegen Ihrer Einkünfte als Aufsichtsrat in die Kritik geraten.

Ich bin pünktlich und unbestritten meiner Anzeigepflicht nachgekommen und habe die damit verbundenen Bezüge offen gelegt – wozu ich weder nach alten noch neuen Regeln verpflichtet wäre. Es wäre auch nicht zu beanstanden, wenn ich diese Bezüge für mich verwenden würde. Aber ich habe sie seit dem ersten Tag für gemeinnützige Zwecke eingesetzt. Die Vorwürfe, die dazu von einer Zeitung erhoben werden, sind auch nach Ansicht vieler Kollegen an Erbärmlichkeit kaum zu überbieten.

Sie sprechen über die „Bild“-Zeitung. Die gemeinnützige Stiftung trägt Ihren Namen. „Bild“ legt nahe: Lammert zahlt an Lammert.

Dies ist falsch: Mit der Gründung der Stiftung sind Mittel aus privatem Vermögen unwiderruflich abgetreten.

Sie halten die Weiterleitung der Nebeneinkünfte an Ihre Stiftung für legitim?

Der Bundestag hat vor einiger Zeit das Stiftungssteuerrecht reformiert und flammende Appelle an alle gerichtet, die aus ihrem Einkommen bzw. Vermögen Gemeinwohlaufgaben finanzieren können. Wenn man nun Menschen, die das tun, mit dem Vorwurf überzieht, sie hätten es besser privat als für gemeinnützige Zwecke ausgegeben, dann ist das schon sehr originell.Ich hoffe sehr, dass Axel Springer nicht einen Teil seines Vermögens in die nach ihm benannte Stiftung gegeben hat. Dann müsste ich ihn gegen die entsprechenden Vorwürfe der „Bild“-Zeitung verteidigen.

Das war nicht die erste Attacke von „Bild“. Sind Sie überrascht?

Nein, die Kampagne an sich hat mich nicht überrascht. Die systematisch tendenziöse Berichterstattung schon. Um es ganz freundlich zu sagen: Hier wird versucht, über sachlich unbegründete Angriffe auf den Bundestagspräsidenten dem Verfassungsorgan Bundestag eine bestimmte Einkommens- und Versorgungsregelung aufzuzwingen.

Also: Der Bundestagspräsident als Prügelknabe?

Das ist nicht meine Formulierung. Ich sehe mich auch in meiner Urteilsbildung nicht ernsthaft berührt. Aber dass ich für alle Abgeordneten den Kopf hinhalten soll, darum geht es schon.

Geht es um ein Kräftemessen?

Soweit es darum geht, durfte und darf ich mich als Bundestagspräsident einer solchen Kampagne und der damit verbundenen Zielsetzung nicht beugen. Alles hat mit der Fehlmeldung einer „Geheim-Studie“ begonnen, dass ich das Düsseldorfer Modell der Abgeordnetenbezahlung einführen wolle. Das musste ich klarstellen – und „Bild“ hat richtig verstanden, dass ich als Vollstreckungsorgan des von ihr vertretenen vermeintlichen Volkswillens nicht zur Verfügung stehe.

Herr Bundestagspräsident, Sie haben zu Beginn Ihrer Amtszeit eine Debatte über Werte und Leitkultur angeregt. Was haben Sie erreicht?

Immerhin ist die Debatte, die jahrelang verweigert worden ist, nun in Gang gekommen. Jetzt gibt es eigentlich nur noch Streit darum, mit welchen Begriffen und Inhalten sie richtig beschrieben ist. Aber es steht nicht mehr in Frage, dass dieses Land, wie jedes andere auch, sich über das Mindestmaß an gemeinsamen Überzeugungen verständigen muss.

Ist die Diskussion um die Fragebögen für einbürgerungswillige Migranten ein geeigneter Weg der Selbstvergewisserung?

Die Vergabe der Staatsangehörigkeit als reiner Verwaltungsakt – das war eine der Leichtfertigkeiten der Vergangenheit. Die Entscheidung für die Mitgliedschaft in der Schicksalsgemeinschaft eines Landes, und das ist die Staatsangehörigkeit, erfordert aber mehr Bindung und Verständnis seiner Kultur, als zur Erteilung einer Fahrerlaubnis nötig ist. Ob das innere Interesse eines Bewerbers an der Staatsbürgerschaft durch Fragebögen und Tests zu ermitteln ist, das ist eine andere, aber keine Grundsatzfrage mehr. Vielleicht liegt der Eifer bei der Entwicklung von Fragebögen auch in der deutschen Mentalität: Wenn einmal ein Versäumnis erkannt ist, dann gibt es schnell einen fröhlichen Überbietungswettbewerb bei dessen Überwindung.

Jenseits des Verfahrens: Was gehört denn zum Kanon der Bindungen an die „Schicksalsgemeinschaft“? Das Bekenntnis zur Verfassung oder mehr?

Der Verweis auf Recht und Verfassung, die für alle gelten, die hier leben, ist ebenso richtig wie irreführend. Denn jede Verfassung ist Ausdruck der Erfahrungen, der Geschichte, der religiösen und kulturellen Traditionen eines Landes. Wenn die Bindung an diese Voraussetzungen verloren geht, verlieren Recht und Grundgesetz ihre Stabilität. In Berlin werden derzeit wieder einmal so genannte Ehrenmorde verhandelt. Es gibt da keinerlei Unklarheit in der deutschen Rechtsordnung: Mord ist Mord. Der Staatsanwalt plädiert sinngemäß: Die deutsche Rechtsordnung lässt diese Art der familiären Konfliktbeilegung nicht zu. Aber er habe Zweifel daran, ob die Angeklagten die Gültigkeit dieser Rechtsordnung akzeptieren. Also: Eine ausgeprägte, kulturell begründete Erwartungshaltung stößt sich mit einer Rechtsordnung, die auf anderen kulturell begründeten Prinzipien beruht.

Ist der kulturelle Hintergrund unseres Rechts nur den Zuwanderern zu wenig vertraut?

Keineswegs. Meine spontane Freude an den Fragebögen ist auch deswegen begrenzt, weil auch viele Deutsche solche Tests nicht bestehen würden. Wir halten viele Dinge für selbstverständlich, deren Voraussetzungen wir nicht mehr vermitteln. Das ist eine große Aufgabe für unser Bildungssystem. Die jüngsten Vorfälle an einer Berliner Schule sind ein dramatischer Beleg dafür.

Das Gespräch führten Tissy Bruns und Stephan Haselberger.

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