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Politik: „Ich würde mit Irans Präsidenten reden“

Der Chef des Jüdischen Weltkongresses, Israel Singer, über Patriotismus, Pelé und den Dialog mit Muslimen

Herr Singer, der Rat des Jüdischen Weltkongresses hat gerade in Berlingetagt und über den Iran gesprochen. Würden Sie auch mit dem Iran sprechen?

Ich würde mit den Juden im Iran reden, wenn ich eingeladen würde.

Würden Sie mit der iranischen Regierung sprechen?

Würden die mit mir sprechen?

Wenn die iranische Regierung Sie einladen würde, würden Sie hinfahren?

Ja. Ich würde mit Irans geistlichem Führer Ajatollah Chamenei über Judentumund Islam sprechen.

Würden Sie auch mit Präsident Mahmud Ahmadinedschad sprechen, der den Holocaustleugnet und Israel mit Vernichtung droht?

Ich weiß nicht, ob ich mit Ahmadinedschad etwas zu bereden hätte. Chameneials religiöser Führer wäre mein Ansprechpartner.

Angenommen, Sie würden in Teheran mit Chamenei beim Tee zusammensitzen undAhmadinedschad käme in den Raum. Was würden Sie tun?

Ich würde versuchen, ihn zu überzeugen, dass das, was er tut und sagt, voneinem religiösen Standpunkt aus gesehen nicht richtig ist.

Der religiöse Standpunkt allein reicht, wenn Sie mit Ahmadinedschad sprechen?

Alles andere müssen andere regeln. Und auch Ahmadinedschad hat eine Achillesferse: die Wirtschaft. Man kann ihn mit Wirtschaftssanktionen empfindlich treffen. Und sollte dies tun.

Mit Wirtschaftssanktionen bestraft man auch die Bevölkerung.

Ja, das ist leider so. Ich war immer ein leidenschaftlicher Gegner des Apartheid-Systems in Südafrika. Ich habe immer Juden in Afrika getroffen, die die Apartheidverteidigt haben. Sie haben gesagt: Du schadest den Schwarzen nur, wenn du fürWirtschaftssanktionen bist. Die Leidtragenden sind immer die Bürger, egal, waspassiert. Das ist schlimm. Aber dennoch muss es sein.

Glauben Sie, die Bevölkerung würde gegen Ahmadinedschad aufstehen, wennsie unter Sanktionen zu leiden hätte?

Wir sollten noch nicht über die Folgen reden. Wir sollten erst mal mit Wirtschaftssanktionendrohen. Wir sollten Ahmadinedschad auch klar machen, was passiert, wenn der Westenihn isoliert. Wenn er nicht mehr in der Weltpresse auftaucht. Er stilisiert sichzum Volkshelden. Damit will er den einfachen Mann auf der Straße beeindrucken.Und dafür braucht er die Aufmerksamkeit des Westens. Bisher hat er das voll erreicht.Ich glaube, im Moment ist Ahmadinedschad im Westen sogar bekannter als der brasilianischeFußballstar Pelé.

Überschätzen Sie da die Macht des Westens nicht? Die globalen Kräfteverhältnisseverschieben sich gerade dramatisch.

Das ist schon passiert. Die Muslime, die arabischen Staaten, Asien werdenin Zukunft die wichtigsten globalen Akteure sein. Die wichtigsten Partner füruns Juden werden die Muslime sein. Zu ihnen versuchen wir als Jüdischer WeltkongressVerbindungen zu knüpfen. Ich komme gerade aus Kairo. Muslime wollen nicht abschätzigals verrückte Spinner gesehen werden. Sie wollen nicht als Terroristen behandeltwerden, als Fanatiker. Außerdem leben mehr Muslime außerhalb der arabischen Weltals innerhalb. Die meisten Muslime wollen nicht als Araber behandelt werden. Siesind Muslime, aber nicht Araber. Sie wollen eine gute Bildung für ihre Kinder,sie wollen, dass ihre Produkte gekauft werden. Sie wollen das Gleiche wie wir.

Und wie steht es mit den Beziehungen zu Indonesien, dem Land, in dem diemeisten Muslime leben?

Die meisten Indonesier haben bisher eine negative Einstellung gegenüber Juden.Aber kaum einer ist jemals einem Juden begegnet. Deshalb müssen wir einen Dialogmit den Muslimen dort beginnen, das wird sich auch auf Indonesien auswirken. Sowie wir durch den Dialog mit Johannes Paul II. den Antisemitismus in Lateinamerikagebremst haben. Dort haben wir – finanziell unterstützt vom Internationalen Währungsfondsunter Ihrem heutigen Präsidenten Horst Köhler – soziale Projekte gemacht. Wirhaben den Armen geholfen, das hat sie überzeugt. Das wollen wir demnächst auchin Afrika machen.

Mit wem sprechen Sie in der islamischen Welt?

Erst mal mit Intellektuellen. Leider nicht mit den Scheichs und Mullahs. Die würden mir wahrscheinlich die Kippa vom Kopf reißen. Man kann die Leute ja nicht zwingen, mit einem zu reden.

Wie finden Sie Gesprächspartner in muslimischen Ländern?

Das ist nicht so leicht, denn es gibt so viele Muslime. Aber ich gebe zum Beispiel Al Dschasira oder Al Arabia Interviews. Da kriegt man sofort Reaktionen wie: Der soll ewig in der Hölle schmoren. Aber auch gemäßigte Leute melden sich. Ein anderes Beispiel: In der Zeitung „International Herald Tribune“ habe ich die Mohammed-Karikaturen verurteilt. Muslime auf der ganzen Welt waren überrascht und haben sich gefreut. Meine eigenen Leute haben mich attackiert, haben gesagt: Weißt du nicht, welche schlimmen Karikaturen die über uns drucken? Ich habe gesagt: Heißt das, wir sollen uns deshalb genauso schlimm benehmen?

Wie lange wird es dauern, bis dieser Dialog richtig in Fahrt kommt?

Länger als ich lebe.

Könnten die Juden als eine Art ethnischer Vermittler zwischen dem Westenund der muslimischen Welt fungieren? Schließlich war das Verhältnis zwischen Judenund Muslimen über Jahrhunderte sehr gut.

Vielleicht nicht ethnisch. Aber wir könnten ein religiöser Mediator sein. Eine Gruppe, die den Dialog ermöglicht.

Spielt Berlin da eine Rolle? Warum haben Sie gerade diese Stadt für dieerste Zusammenkunft des neu gegründeten politischen Rates des Jüdischen Weltkongressesgewählt?

Es gab einen berühmten amerikanischen Bankräuber in den 20er Jahren. Die Leute haben ihn gefragt: Warum haben Sie eine Bank überfallen? Er antwortet: Weil da das Geld ist. Wir sind nach Berlin gekommen, weil hier die politischen Entscheidungen getroffen werden. Zumindest, was unsere Themen angeht: Iran, Wiedergutmachung für Holocaust-Opfer, Antisemitismus.

Wie wichtig ist Deutschland für die Verhandlungen mit Iran?

Deutschland ist eines der wichtigsten Länder in der Iranfrage. Frankreich auch. Die politischen Strategien Deutschlands, Frankreichs und ganz Europas waren in letzter Zeit zu weich. Das hat zum Teil wirtschaftliche Gründe. Aber auch wenn ich die Meinung dieser Politiker nicht teile, so will ich doch mit ihnen sprechen, denn sie haben zumindest Einfluss im Iran.

Es stand zur Debatte, dass Irans Präsident Ahmadinedschad zur WM nach Deutschlandkommen könnte. Was sagen Sie dazu, wie Deutschland mit der Situation umgegangenist?

Das war ein riesiges Dilemma. Die Deutschen haben sich korrekt verhalten, sie haben kein Geschrei angefangen. Etwas anderes wäre mir auch nicht eingefallen. Die Deutschen hätten auch sagen können, wir lassen Sie nicht rein, wir lassen auch keinen Fußballer rein. Ihm die Tür ganz vor der Nase zuzuschlagen, wäre Quatsch gewesen. Aber man muss in einer Sprache mit ihm reden, die er versteht. Er ist verrückter, als viele denken. Aber ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Iraner hinter ihm steht.

Zur WM ist Berlin voll schwarz-rot-goldener Flaggen. Wie erleben Sie das?

Es freut mich, das zu sehen. Denn es ist Teil der Normalisierung Deutschlands, die gesund ist, und das ist wahrscheinlich eine der wichtigsten Sicherheiten, die jüdische Menschen in aller Welt haben. In Deutschland gibt es Gesetze, die ich in keinem anderen Land haben möchte, weil sie die freie Meinungsäußerung einschränken. Das Leugnen des Holocaust steht unter Strafe. In den USA wäre das nicht möglich, aber in Deutschland ist es möglich, und das ist gut. Es ist ein großartiges Deutschland.

Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats in Deutschland, hateine neue Patriotismusdebatte gefordert, damit sich Zuwanderer leichter mit demLand identifizieren können. Brauchen wir Deutschen mehr Patriotismus?

Ich will das nicht kommentieren. Charlotte Knobloch repräsentiert die Juden in Deutschland. Sie weiß besser, was in Deutschland vor sich geht.

Sie leben in New York, im klassischen Einwanderungsland USA …

… nicht mehr. Amerika nach dem 11. September ist nicht mehr das liberale, offene Einwanderungsland, in dem ich aufgewachsen bin. Davor, von 1924 bis 1948, war Amerika auch ein geschlossenes Land. Trotzdem bin ich stolz auf Amerika.

Sind Sie Patriot?

Nein, ich bin stolz auf Amerika, aber ich bin kein Patriot. Das ist ein großer Unterschied. Ich bin stolz, denn Amerika ist kritikfähig. Patriotismus ist ein europäisches Konzept, das die Amerikaner immer in Zeiten des Krieges kopiert haben. Patriotismus, Nationalismus, Chauvinismus, das ist doch alles das Gleiche. Es reicht, ein loyaler Bürger zu sein. Alles andere ist übertrieben.

Nach dem Krieg war das Trauma des Holocaust für viele Juden in der Weltdas wichtigste Thema. Die Generation der Holocaust-Überlebenden stirbt. Was bestimmtnun die Identität der Juden?

Naja, ich würde nicht sagen, dass der Holocaust identitätsstiftend war, aber es war das wichtigste Thema. Für die heute lebenden Juden ist Israel das wichtigste Thema. Egal, wo sie leben. Israel ist die nationale Identität der heutigen Juden, egal, wo sie leben.

Aber Sie sind doch Amerikaner?

Ich habe einen amerikanischen Pass und bin loyaler Amerikaner – und ich bin ein loyaler Anhänger der Idee von Israel als einem einzigartigen Ort für Juden.

Was ist die Hauptaufgabe des Jüdischen Weltkongresses in Zukunft?

Dafür zu kämpfen, dass die Welt ein bisschen besser wird und dass Juden überall in der Welt sicher und behütet leben können. Aber erst, wenn alle Menschen sicher und glücklich leben können, werden auch Juden sicher leben können. Niemand wird die Menschenrechte, die Religionsfreiheit genießen können, wenn sie nicht alle genießen können.

Und Ihr Arbeitsschwerpunkt?

Die Begegnung mit den Muslimen ist für mich jetzt die große Aufgabe. Sie ist fast genauso wichtig, wie es der Kampf um die Wiedergutmachung für die Holocaust-Opfer war. Ich reise jetzt nach Moskau. Dort gibt es zum ersten Mal ein Treffen der Religionen vor dem G-8-Gipfel.

Eine Art religiöser G-8-Gipfel?

Ja, und eine großartige Chance, wie Christen, Muslime, Buddhisten und Juden miteinander ins Gespräch kommen können. Auch Kardinal Kasper vom Vatikan wird kommen und Bischof Huber. Für Putin ist es natürlich die Gelegenheit, Russland als Land der Religionsfreiheit zu präsentieren.

Wäre so etwas auch in China denkbar?

Noch nicht. Aber es wäre sehr nützlich, gerade wegen der Hunderte Millionen Muslime, die vor allem im Westen Chinas leben und sehr isoliert sind. Aber zu wenige Leute interessieren sich bisher für diese Region. Dabei finden die spannendsten Prozesse an den Rändern der Zivilisation statt. Da müssen wir hin, denn da entscheidet sich die Zukunft.

Wären also auch die Vereinten Nationen eine gute Plattform?

Wir hoffen, dass wir vor der nächsten UN-Vollversammlung in New York ein ähnliches Treffen arrangieren können. Wir brauchen den Trialog zwischen Christen, Muslimen und Juden. Da liegt unsere große Chance, die Gegensätze der Kulturen zu überwinden.

Im Juli wird es in Deutschland einen Integrationsgipfel geben. Haben Sieeine Empfehlung dafür?

Die Integration von Einwanderern ist ein wichtiger Aspekt der Zivilgesellschaft. Länder mit einer ausgeprägten Zivilgesellschaft wissen, wie wichtig es für die Entwicklung eines Landes ist, die fremden Kulturen der Einwanderer zu verstehen und sie zu einem Teil der eigenen Kultur zu machen, anstatt die Einwanderer zu zwingen, die Kultur der Mehrheitsgesellschaft 1:1 zu übernehmen. Ansonsten bleibt man eine statische Kultur – und stirbt aus.

Das Gespräch führten Claudia Keller und Ingrid Müller.

ZUR PERSON

VERHANDLER

Die Eltern flohen vor den Nazis aus Wien, Israel Singer wurde 1942 in New York geboren. Der Politologe und Rabbiner kämpft seit 20 Jahren für die Entschädigung von Holocaust-Opfern, heute als Ratsvorsitzender des Jüdischen Weltkongresses und Präsident der Jewish Claims Conference. Er zwang selbst die Schweizer Großbanken in die Knie.

PROVOKATEUR

Um sich durchzusetzen, hält er sich nicht immer ans politisch Korrekte und wirft etwa den Juden im Westen vor, sie wüssten nicht, was Antisemitismus ist.

OPTIMIST

Er glaubt an die Verständigung zwischen Juden, Christen, Muslimen. Um die Welt zu überzeugen, verbringt er ein Drittel des Jahres auf Reisen.

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