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Politik: Ihr größter Feind ist die Anarchie

Washington droht Saddam mit Krieg – die Iraker fürchten vor allem den Zusammenbruch der Ordnung im Land

Von Martin Gehlen

In Bagdad geht die Angst um. Die Kriegsdrohungen aus dem Weißen Haus werden immer unverhohlener. Mancher in der Euphrat-Metropole rechnet bereits im September, also zum Jahrestag des Anschlags auf das World Trade Center, mit einem Angriff. Doch die meisten Iraker, so berichten Reisende, fürchten nicht so sehr die amerikanischen Bomben, sondern Anarchie und Chaos im eigenen Land nach einem Sturz Saddam Husseins – Plünderungen, blutige Abrechnungen und Bürgerkrieg zwischen den einzelnen Volksgruppen. Auch von einer anti-westlichen Stimmung in der Bevölkerung ist trotz zehn Jahren Embargo und offizieller Feindpropaganda des Regimes nichts zu spüren.

Nach Informationen des britischen „Observer“ will US-Präsident Bush innerhalb der nächsten Wochen ankündigen, dass er Saddam Hussein gewaltsam stürzen will. Der Krieg sei jetzt „unvermeidlich“. Die endgültige Entscheidung über den genauen Zeitpunkt des Angriffs werde Bush in diesem Monat treffen. „Wir dürfen es den schlimmsten Anführern dieser Welt um der Zukunft unserer Zivilisation willen nicht erlauben, die schlimmsten Waffen dieser Welt zu entwickeln, aufzustellen und damit die freiheitsliebenden Nationen zu erpressen“, erklärte der Präsident an seinem Urlaubsort Kennebunkport und fügte hinzu: „Ich versichere Ihnen: Die Geschichte nimmt uns in ihre Pflicht und dieses Land wird die Freiheit verteidigen, koste es, was es wolle."

Der Irak hätte einem amerikanischen und britischen Angriff militärisch wenig entgegenzusetzen. Die Armee ist nach Einschätzung westlicher und israelischer Fachleute zu einem Krieg nicht mehr in der Lage. Die Soldaten sind schlecht gerüstet und demotiviert. In den Straßen Bagdads üben derweil rasch eingezogene Freiwillige das Marschieren. Und Jugendliche lernen während der Sommerferien in staatlichen Feriencamps das Schießen mit Gewehren.

„Ich gehe davon aus, dass es bald losgeht“, meint auch der Direktor des Deutschen Orient-Instituts, Udo Steinbach. Er rechnet mit einem westlichen Truppenaufmarsch von etwa 250 000 Soldaten. Nach seiner Ansicht müssen die USA sich auf einen langen Einsatz mit Straßenkämpfen einrichten. „Es wird Tausende Opfer geben – auf beiden Seiten. Ähnlich sorgenvoll beurteilt die Lage auch die Führung in Kuwait. Die Bewohner des kleinen Nachbarlandes, dessen Invasion durch Irak 1990 den ersten Golfkrieg auslöste, bangen nun erneut um ihre Sicherheit. Denn für die Kuwaitis ist es eine ausgemachte Sache, dass Irak sich an ihnen rächen wird. Die Regierung hat bereits einen Notfallplan ausgearbeitet. Doch angesichts der Horrorszenarien – Attacken mit biologischen, chemischen oder gar Atomwaffen – trägt das wenig zur Beruhigung der Bevölkerung bei. Die Bundesregierung jedenfalls lässt die sechs Spürpanzer der Bundeswehr vorerst in Kuwait stationiert.

Derweil spielt der Irak – wie schon so oft – auf Zeit. Überraschend lud er in der vergangenen Woche den Leiter der UN-Waffeninspekteure, Hans Blix, zu Gesprächen nach Bagdad ein. Der irakische Außenminister Nadschi Sabri sprach die Einladung in einem Schreiben an UN-Generalsekretär Kofi Annan aus. Doch Blix will nicht - vorerst. In einem Interview mit der in London ansässigen arabischen Zeitung „Al-Hayat“ machte er einen Besuch in Bagdad davon abhängig, dass Irak einer bedingungslosen Wiederaufnahme der Inspektionen zustimmt. Würde die Kommission die Einladung Iraks ohne diese Garantie annehmen, würde dies falsche Zeichen setzen, sagte Blix. UN-Waffeninspekteure würden nur in das Land zurückkehren, wenn Bagdad bereit wäre, Resolutionen des UN-Sicherheitsrates zu befolgen. Die letzte Gesprächsrunde mit den Vereinten Nationen Anfang Juli in Wien war ohne Ergebnisse geblieben. Allerdings erklärte der ehemalige amerikanische Inspekteur Scott Ritter, bei Beendigung der bisherigen Inspektionen im Dezember 1998 seien alle Nuklearanlagen in Irak zerstört gewesen. „Es gibt keine Hinweise, dass die Anlagen wiederaufgebaut worden sind“, sagte Ritter.

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