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Politik: Illegale Millionäre

Manche Hinterbliebene von Opfern des 11. September sind reich – aber trauen sich nicht, das Geld auszugeben

Von diesem Reichtum hatte sie nie zu träumen gewagt. Zu Hause in ihrem Bergdorf in Ecuador waren eine Hand voll Reis und ein halbes Ei eine anständige Mahlzeit. Als sie und ihr Mann einem Schlepper 1992 11 000 Dollar bezahlten, damit er sie in die USA schmuggelt, waren ihre Hoffnungen bescheiden: genug zum Leben und eine Ausbildung für ihren Sohn, der damals drei war. Heute ist sie Millionärin in New York, mit 38 Jahren, und kann sich doch am Geld nicht freuen. Sie könnte sich ein eigenes Haus leisten, ein Auto, Luxus, lebt aber in einem Zwei-Zimmer-Apartment in Queens zur Miete. Bloß nicht auffallen, bloß kein Misstrauen erregen. Sie verrät nicht mal ihren Namen. Nennen wir sie „Mercedes“.

Ihre 1,6 Millionen Dollar sind kein schmutziges Geld, sie hat sie legal bekommen. Doch sie selbst ist „illegal“ in den USA. Offiziell gibt es „Mercedes“ nicht. So kann sie keinen Führerschein machen, keine Krankenversicherung abschließen, ihren Sohn nicht aufs College schicken; dafür brauchte er eine „Social-Security“- Nummer. Und doch hat die Regierung sie zur Millionärin gemacht. Amerika kann beides sein: großzügig und mitmenschlich. Aber auch hart und mitleidslos. „Mercedes“ hat am 11. September 2001 ihren Mann verloren. Er arbeitete im Restaurant „Windows on the World“ ganz oben in den Türmen des World Trade Centers, auch er ein Illegaler.

Spenden und Regierungsgeld gab es nach der Tragödie im Überfluss. Die Familien der Toten bekamen Millionenentschädigungen. In der gefühlsgeladenen Stimmung entschied man: Wir machen keinen Unterschied, ob US-Bürger, legaler Gastarbeiter oder Illegaler. Kenneth Feinberg, Treuhänder des Opferfonds, versprach, die persönlichen Daten würden nicht benutzt, um Illegale auszuweisen. Die Gastronomie-Gewerkschaft überredete die Familien, ihre Ansprüche geltend zu machen. Angehörige von elf „illegalen“ 9/11-Opfern erhielten Entschädigungen zwischen 875 000 und 4,1 Millionen Dollar, berichtet die „New York Times“. Mit zwei Witwen und einem Witwer hat sie gesprochen. Sie bleiben ohne Namen und Gesicht, haben Angst vor Entdeckung.

Nennen wir die andere Witwe „Clara“, eine nicht mal 1,50 Meter kleine Mexikanerin mit schwarzen Locken, sie scheint fast in ihrem Sessel zu verschwinden. Die 30-Jährige besitzt 2,2 Millionen, wohnt aber ärmlich in den Außenbezirken von Newark. Am schlimmsten, sagt sie, seien die Schultage. Ihren neunjährigen Sohn bringt sie täglich zu einer Privatschule in Manhattan. Drei Stunden dauert die Fahrt mit U-Bahn und öffentlichen Bussen in jeder Richtung. Die Angst vor Entdeckung fährt mit. Nach den Anschlägen wurde das Sicherheitspersonal aufgestockt. Anders als der Sohn von „Mercedes“ ist „Claras“ Kind in Queens geboren, ist also US-Bürger. Doch das gibt ihr noch kein Aufenthaltsrecht. Eine Trennung, sagt sie, würde sie nicht überleben.

„Ernesto“, ein illegaler Bauarbeiter, hat seine Frau am 9.11.2001 verloren, da war ihre Tochter gerade acht Monate alt. Sie ist der Grund, warum der 35-Jährige nicht mit der Millionenentschädigung zurückgeht nach Ecuador. Sie soll eine bessere Zukunft haben. Er hat ihr Kinderzimmer mit Plüschtieren vollgestopft, damit das Fehlen der Mutter nicht so schmerzt.

Ein Gesetz, das den Aufenthalt der „illegalen“ Opferfamilien legalisiert, ist unterwegs, aber blockiert im Kongress wegen des Streits um das neue Migrationsrecht. Für Außenstehende ist schwer vorstellbar, dass die USA Angehörige eines 9/11-Opfers ausweisen. Aber die Betroffenen trauen der Sache nicht. „Clara“ ist 2000 einmal geschnappt worden. Die Anhörung wegen Deportation kam erst im Mai 2002 zustande. Der Richter entschied mit Blick auf den Tod ihres Mannes gegen Ausweisung, aber ein Aufenthaltsrecht konnte er ihr nicht geben.

Das Geld, sagt „Mercedes“, hat sie einsamer gemacht. Sie traut sich nicht einmal mehr zu den Treffen der Opferfamilien. „Da sind zu viele Polizistenwitwen. Was sage ich, wenn die mich fragen?“

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