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Im BLICK: Hang zum Kollektiv

Es ist ja nur ein Zufall, dass in der Woche, in der Thilo Sarrazin seine eigenwilligen Thesen über die drohende Selbstabschaffung Deutschlands veröffentlicht, auch noch eine Debatte um die allgemeine Dienstpflicht durch die Medien geistert. Doch beides hängt schon ein bisschen zusammen.

Es ist ja nur ein Zufall, dass in der Woche, in der Thilo Sarrazin seine eigenwilligen Thesen über die drohende Selbstabschaffung Deutschlands veröffentlicht, auch noch eine Debatte um die allgemeine Dienstpflicht durch die Medien geistert. Doch beides hängt schon ein bisschen zusammen. Weil man nämlich wieder daran erinnert wird, dass in Deutschland das Kollektive etwas mehr geschätzt wird als in anderen Demokratien. Man muss nun nicht gleich mit der Volksgemeinschaft kommen oder gar die NS-Keule gegen den auf seine ganz eigene Art tümelnden Bundesbankvorstand und SPD-Politiker schwingen – oder die Dienstpflicht mit dem Reichsarbeitsdienst vergleichen. Aber was Sarrazin denkt und schreibt und was die Verteidiger des Pflichtdienstes möchten, ähnelt sich in einem Punkt: Hier wird die Gesellschaft nicht so sehr als Summe freier Individuen begriffen, sondern letztlich als eine Einheit, als ein Ganzes, als Volkskörper. Als Kollektiv. Und dem darf man nicht schaden, dem soll man nutzen.

Aber lassen wir Sarrazin und bleiben bei der allgemeinen Dienstpflicht, die ja nicht nur einige der üblichen Verdächtigen auf der Rechten begeistert. Sie soll die demnächst möglicherweise ausgesetzte Wehrpflicht samt Ersatzdienstpflicht ersetzen. Einmal abgesehen davon, ob das überhaupt praktikabel und finanzierbar wäre (selbst Sozialverbände haben da Zweifel) – eigentlich verbietet sich die Idee schon deshalb, weil sie letztlich zurückgeht auf eine Zeit, die niemand wiederhaben will: die wilhelminische Ära mit ihren völlig verqueren Ansichten über Nation, Gesellschaft, Gemeinschaft, nachzulesen in Heinrich Manns „Der Untertan“ oder in einem guten Geschichtsbuch neueren Datums. Damals wurde die Armee zur „Schule der Nation“ verklärt, man hat sie sich als Erziehungsanstalt zum wahren einigen Deutschtum gedacht. Alle Männer sollten hindurch, die Wehrpflicht für alle, zuvor eine eigentlich eher demokratische Idee, gegen die fürstlichen Obrigkeitsstaaten und ihre Söldnerheere gerichtet, wurde nun im Sinne des Obrigkeitsstaats umgedeutet, als ein Dienen für alle. Die Schule der Nation – das war die Eintrittsstube ins große Kollektiv.

Nun ist die Idee der allgemeinen Dienstpflicht heute natürlich frei von diesem ideologischen Ballast. Und es redet kaum jemand mehr vom Dienst an der Nation oder am Volk. Man spricht jetzt von der Pflicht gegenüber der Gesellschaft, die man von den jungen Leuten erwarten könne. Aber ob man nun das Kollektiv so nennt oder so, ob man sich heute als eine aufgeklärte Gesellschaft empfindet im Vergleich zur wilhelminischen Nation – es ändert nichts am Kollektivismus, der sich letztlich hinter der Vorstellung verbirgt, junge Menschen hätten eine Bringschuld gegenüber dem großen Ganzen und müssten ihre soziale Dienstpflicht ableisten, um nach dieser Initiationsphase vollwertige Teile der Gemeinschaft zu sein.

Was aber wären all jene, die sich dem verweigern wollen, weil sie darin einen unangemessenen Zwang sehen? Asozial? „Die Gesellschaft wird ärmer, wenn junge Menschen vor jeder Art von Herausforderungen, etwas für die Gesellschaft zu tun, verschont bleiben.“ Das sagt Hessens scheidender Ministerpräsident Roland Koch zum Thema. Der Vorwurf der Drückebergerei gegenüber all jenen, die sich nicht verpflichten lassen möchten, schwingt hier in unguter Weise schon mit. Wie aber war das noch mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung?

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