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Im BLICK: Krieg oder Einsatz für Frieden?

Michael Schmidt will ein Völkerrecht, das der Realität Rechnung trägt.

Von Michael Schmidt

Die Sprache ist so janusköpfig wie die Wirklichkeit. Krieg oder Stabilisierungseinsatz? Embryonaler Zellhaufen oder Mensch im Frühstadium? Schokoriegel oder längste Praline der Welt? Jeder hat seine eigene Redeweise, jede Berufsgruppe, jede Wissenschaft ihren eigenen Jargon. Aber kann nicht nur ein Wort zur Welt passen, nur ein Ausdruck richtig und damit wahr sein? Nein.

Wenn deutsche Soldaten am Hindukusch schießen und erschossen werden, Panzer und Mörser einsetzen, dann nennt der Alltagsverstand das Krieg. Und das zu Recht. Wenn aber Verteidigungsminister Franz Josef Jung das Wort zu vermeiden sucht und stattdessen von einem Unterstützungseinsatz für die afghanische Regierung spricht, dann hat auch er seine Gründe. Gute Gründe. Er spricht dann nur die Sprache der Politik, die sich in diesem Fall an der Sprache der Juristen orientiert, genauer: am Völkerrecht. Die verschiedenen Worte heben unterschiedliche Aspekte der Wirklichkeit hervor – und verdecken andere. Jungs semantischer Seiltanz ignoriert, was am Hindukusch der Fall ist. Das allgemeine Verständnis übersieht die politischen Folgen eines anderen Sprachgebrauchs.

Das humanitäre Völkerrecht umfasst zwei Bereiche. Erstens das Recht zum Krieg, ius ad bellum, das die Frage der Legalität eines Waffengangs behandelt. Kriege sind grundsätzlich völkerrechtswidrig. Die UN-Charta kennt aber Ausnahmen vom Gewaltverbot, etwa zum Zwecke der Selbstverteidigung und wenn ein UN-Mandat vorliegt. Beides ist beim Bundeswehreinsatz am Hindukusch der Fall. Zweitens das Recht im Krieg, ius in bello, das den Umgang mit Verwundeten, Kranken und Schriffbrüchigen der bewaffneten Kräfte regelt, die Behandlung von Kriegsgefangenen und den Schutz von Zivilisten. Danach würden die Taliban zum Beispiel in einem Krieg Kombattantenstatus genießen. Die Bundeswehr müsste Gefangene in ein Kriegsgefangenenlager bringen und dort bis zum Ende des Krieges versorgen. Die Taliban dürften nicht als Mörder, Verbrecher, kriminelle Terroristen bestraft werden, weil ihre Angriffe auf die Bundeswehr als normale Tätigkeit in einem Krieg zu werten wären.

Hinzu kommt: „Bewaffnete internationale Konflikte“, also Kriege, kann es nach dem Völkerrecht nur zwischen zwei Staaten oder zwischen einer Befreiungsbewegung und einer Kolonialmacht geben. Alles andere ist kein Krieg – und Minister Jung kann es auch zu keinem machen. Die deutschen Truppen sind auf Bitten der legitimen afghanischen Regierung am Hindukusch. Die radikal-islamischen Taliban dagegen stammen aus der Region und sind kein Völkerrechtssubjekt, mithin keine Kriegspartei.

Das Problem ist: Der klassische zwischenstaatliche Konflikt bildet die Matrix für die UN-Charta – er kommt aber heute kaum noch vor. Staaten zerfallen, Söldner, kriminelle Warlords, ethnisch und religiös motivierte Gruppen bestimmen das privatisierte Kriegsgeschehen. Völkermord, Bürgerkrieg, humanitäre Katastrophen verwischen die Grenzen zwischen Militär und Zivilgesellschaft. In der Unzulänglichkeit des Völkerrechts, diese Lebenswirklichkeit asymmetrischer Bedrohungen zu meistern, liegt die eigentliche Herausforderung im Hier und Jetzt.

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