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Im Blick: Was das Volk begehrt

Vereinfacht gesagt, gibt es in der Politik nur zwei Parteien: Progressive und Konservative. Über die der britische Schriftsteller G.

Vereinfacht gesagt, gibt es in der Politik nur zwei Parteien: Progressive und Konservative. Über die der britische Schriftsteller G. K. Chesterton einmal schrieb, die Progressiven hätten die Aufgabe, fortschreitend die alten Fehler zu wiederholen, während die Konservativen dazu da seien, das Korrigieren dieser Fehler zu verhindern. In Hamburg freilich konnte man gerade erleben, wie eine konservative Gruppe (und das sind die Gegner der sechsjährigen Grundschule ja wohl) einen solch alten progressiven Fehler – jedenfalls aus ihrer Sicht – korrigierte. Und zwar mit einem sehr progressiven Mittel: per Referendum. Wo doch Konservative sonst eher an der repräsentativen Demokratie hängen.

Es hat daher doch ein wenig verwundert, dass ausgerechnet SPD, Grüne und Linke – das niederschmetternde Hamburger Ergebnis vor Augen – gleich die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene verlangt haben. Zumal die einfacheren Leute, von denen die Progressiven doch lange Zeit angenommen haben, sie stünden auf ihrer Seite, mal wieder massenhaft zu Hause blieben (obwohl die sechsjährige Grundschule gerade bildungsferneren Schichten nutzen soll). Neigt es vielleicht doch eher zur repräsentativen Demokratie, das einfache Volk, und fühlt sich in Vertretung besser aufgehoben als im aktiven Dienst an der Demokratie? So dürfte im progressiven Lager wohl noch ein wenig gegrübelt werden, ob das wirklich so eine gute Idee ist mit der Ausweitung von Begehr und Entscheid. Zumal die Konservativen in Hamburg ganz schön gut waren bei der Organisation ihres direktdemokratischen Coups.

Zum Nachdenken bringen könnte einen auch ein weiterer aktueller Volksentscheid – und zwar das bayerische Referendum zum Rauchen in Kneipen (bei dem die einfacheren Leute übrigens auch nicht so zahlreich erschienen). Das Problem bei dem – erfolgreichen – Anliegen, ein Komplettverbot gegen die Raucher durchzusetzen, war dabei weniger der Inhalt als die Tatsache, dass nicht nur eine Parlamentsentscheidung über den Haufen geworfen wurde, sondern in gewissem Sinne auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Denn das hat bekanntlich entschieden, dass ein völliges Verbot zwar möglich sei; aber eben auch, dass es in bestimmten Kneipen unter bestimmten Bedingungen erlaubt werden könne. Es war ein Urteil, das einer Minderheit Raum gab, ohne dass die Mehrheit (und die ist ja mittlerweile unstrittig gegen das Rauchen in Kneipen) sich gestört fühlen musste.

Anders gesagt: Karlsruhe sorgte für Rechtsfrieden und betrieb Minderheitenschutz. Das hat die Initiatoren des bayerischen Begehrens freilich nicht gekümmert, und das ist problematisch. Denn ihr Anliegen war nun einmal gegen eine Minderheit gerichtet – wobei wiederum nur eine Minderheit der Bürger, und das ist eine zusätzliche Schwierigkeit bei vielen Volksentscheiden, sich aktiv hinter dieses Anliegen stellte. Den direktdemokratisch bezwungenen Kneipenrauchern bleibt jetzt noch ein Mittel, sich zu wehren, auch eines aus dem progressiven Arsenal: ziviler Ungehorsam. Denn was soll der Staat machen, wenn ein Rauchverbot dauerhaft und verbreitet missachtet wird? Strafen, strafen, strafen? Wie konservativ!

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