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Politik: Im Dschungel der Erkenntnis

Von Ingrid Müller

Gewalttätige Auseinandersetzungen, Tränengas gegen Demonstranten, Tote bei Wahlkampfveranstaltungen. Bilder aus dem Kongo. Bilder, die verstören. Bilder, die nicht normal sind. Mittendrin deutsche Soldaten, von denen sich einige ziemlich unwohl fühlen. Von denen manche auch Angst haben. Können sie der Lage Herr werden, wenn die Situation in dem drittgrößten Land Afrikas nach den Wahlen vom Sonntag eskalieren sollte?

Genau deshalb sind sie hier, die Soldaten der Eufor-Truppe: weil die Lage angespannt ist. Weil befürchtet wird, dass es zu Zusammenstößen kommt, wenn einer der Kandidaten oder dessen Anhänger das Ergebnis nicht akzeptieren wollen. Ginge es nur um Aufbau, und Entwicklungshilfe, wäre nicht die Bundeswehr dort. Dann reichten zivile Helfer. Aber die Welt weiß, dass der amtierende Präsident Joseph Kabila eine zigtausende Gefolgsleute zählende bewaffnete Garde hat. Nicht viel anders ist es beim Vizepräsidenten und prominentesten Gegenkandidaten Jean Pierre Bemba; er war Kriegsherr in den Kämpfen, die das Land von der Größe Westeuropas jahrelang erschüttert und mit all seinen Folgen mehrere Millionen Menschen das Leben gekostet haben. Aber da sind auch Millionen Menschen, die sich nach Frieden sehnen. Die endlich in Ruhe leben wollen.

Die europäische Truppe, die zusätzlich zu den UN-Soldaten rund um die Wahlen vor allem in der Hauptstadt Kinshasa im Einsatz ist, soll diesen Menschen signalisieren, dass die Welt nicht wegschaut. Sie signalisiert aber auch den ehemaligen Kriegsherren, dass die Welt nicht wegschaut. Für Abschreckung wie Ansporn sind Soldaten nötig. Auch Deutsche. Natürlich kann die kleine Truppe allein nicht Demokratie in den Kongo bringen. Das wird lange brauchen. Aber wenn dort ein Anfang gemacht wird, ist schon viel erreicht. Nicht nur im Kongo, sondern auch als stabilisierendes Signal für den Kontinent. Wer zu Hause eine Perspektive sieht, wird sich zudem nicht auf den Weg anderswohin machen – nicht als Flüchtling in Nachbarländer, nicht nach Europa, wo den Menschen dann auch wieder geholfen werden müsste. Das bedeutet auch, dass dem militärischen Einsatz eine langfristige Strategie folgen muss. Doch zeigen gerade die jüngsten Bilder aus dem Kongo, dass Deutschland diese Debatte erst noch führen muss, dringend: Wohin schicken wir unsere Soldaten und warum? Welches Risiko sind wir bereit zu tragen? Das ist das Land seinen Soldaten und deren Angehörigen schuldig. Und auch seinen Partnern. Das Grundsätzliche aber muss vor Einsätzen geklärt werden. Nicht, wenn die Soldaten bereits unterwegs sind.

Es hat keinen Sinn, bei jeder brenzligen Situation die Heimkehr deutscher Soldaten zu fordern. Sei es in Afghanistan oder im Kongo – oder demnächst vielleicht im Libanon? Militärische Einsätze sind riskant, das gehört zu einer ehrlichen Diskussion. Das bedeutet nicht, Soldaten zu verheizen. Pläne für den Notfall müssen Teil jeder ordentlichen Einsatzplanung sein – von dem gleichzeitig alle hoffen, dass er nicht eintritt. Beantwortet werden muss auch die Frage, was Deutschland der Welt schuldet, und dazu gehört auch: Afrika. Und ohne die auch militärische Hilfe anderer Länder könnten wir heute weder so frei noch so komfortabel leben. Deutschland kann und will mitreden in der Welt. Das sollte niemand vergessen bei der Diskussion, im eigenen Land wie auch international. Aber es ist an der Zeit, dass sich Deutschland seiner selbst vergewissert.

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