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"Ein Beschluss für Bonn wäre das falsche Signal gewesen", sagt Klaus Töpfer.

© Kai-Uwe Heinrich

Im Interview: Klaus Töpfer: „Was wichtig ist, kommt nach Berlin“

Der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer kämpfte für den Berlin-Umzug. Und für ihn war der Umzug das richtige Signal.

Die Entscheidung war denkbar knapp. Am Ende stand es 338 zu 320. Ist aus heutiger Sicht nachvollziehbar, dass der Standort Bonn auf Augenhöhe mit Berlin diskutiert wurde?

Das war schon damals für mich nicht nachvollziehbar. Vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Entwicklung der deutschen Einheit wird es mir noch unverständlicher. Dabei übersehe ich keineswegs, dass es aus der Geschichte der Bundesrepublik heraus gewachsene Bindungen und Verpflichtungen gegenüber der Stadt Bonn und der Region gab und gibt.

Hat sich die historische Richtigkeit der Entscheidung erwiesen?

Ja. Schlicht und einfach Ja. Die Bundeshauptstadt Berlin ist heute ein Kristallisationspunkt einer weltweiten gesellschaftlichen Dynamik. Berlin steht für ein Deutschland, das sich der Aufgabe gestellt hat, ein Land zusammenzufügen über ideologische Grenzen hinweg. Eine Entscheidung für Bonn wäre ein gänzlich falsches, nach hinten weisendes Signal gewesen. Dass Bonn aus seiner historischen Leistung eine Perspektive für die Zukunft eröffnet werden musste, war klar. Es freut mich, dass ich als Beauftragter für den Ausgleich für die Stadt Bonn daran mitarbeiten konnte.

Welche Gefühle haben Sie beim Gang durchs Regierungsviertel?

Wenn ich jetzt im Kanzleramt bin, dann betrachte ich das nicht nur vor dem Hintergrund der Übergabe des Berichts der Ethikkommission, sondern auch mit den Augen dessen, der einmal für den Umzug verantwortlich war. Die Art und Weise, wie Berlin zur Bundeshauptstadt gestaltet wurde, ist, wie ich mit Freude feststelle, überhaupt niemals in Frage gestellt worden. Das empfinde ich als ebenso überraschend wie ungewöhnlich. Wenn ich heute im Regierungsviertel oder in einem Ministerium bin, dann sage ich mir, das ist in Ordnung, dass würde ich heute genauso wieder machen. Die Nutzung alter Bauten, bei denen die Jahresringe der städtischen und gesellschaftlichen Entwicklung Berlins sichtbar gemacht wurden, ist eine tolle Sache. Es freut mich immer wieder, dass ich daran mitwirken durfte.

Ihre Vorgängerin Irmgard Adam-Schwätzer sprach von „historisch kontaminierten Altbauten“, die unzumutbar wären. Konnten sie damals oder heute diesen Vorwurf verstehen?

Natürlich war das eine Thematik, mit der man sich auseinander setzen musste. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir die Auseinandersetzung mit der Geschichte bereits verloren haben, wenn wir mit Hinweis auf kontaminierte Gebäude etwas abreißen. Wir müssen uns aber immer beim Umgang mit solcher Bausubstanz aus DDR- oder NS-Zeit der Verantwortung stellen. Für diese Position habe ich etwa auch die volle Unterstützung der jüdischen Gemeinde bekommen. Mit der Nutzung alter Bausubstanz in einer modernen Architektursprache stellen sich Regierung und Parlament immer wieder in die Verantwortung für die deutsche Geschichte - auch in ihren schwärzesten Kapiteln.

Das Bild der Berliner Republik ist aber wesentlich bestimmt durch die Neubauten: etwa das Kanzleramt und das Band des Bundes.

Mir ging es nicht darum, etwas museal zu erhalten, sondern diese Jahresringe der Geschichte aufzugreifen und einzubinden in die architektonische Sprache unserer Zeit. Das ist nach meiner Ansicht recht gut gelungen. Im Reichstag wurde eine alte Bausubstanz erhalten bis hin zu den Graffitis russischer Soldaten. Diese geschichtlichen Zitate sind großartig aufgegriffen worden in der Architektur Norman Fosters, nicht zuletzt bei der neu interpretierten Kuppel. Gleiches gilt für das Wirtschaftsministerium, das Justizministerium, vor allem aber für das Preußische Herrenhaus, das der Bundesrat nutzt. Kein Mensch käme auf die Idee zu sagen, das ist eine historisierende Architektur geworden, ganz im Gegenteil.
Im Band des Bundes fehlt noch das ursprünglich geplante Forum.
Die Wahrscheinlichkeit ist leider sehr hoch, dass das, was von einem Gesamtentwurf nicht direkt realisiert und auf später verschoben wird, kaum noch realisiert wird. Zwischenzeitlich haben die Menschen den Ort in Besitz genommen. Diese Lücke hat nichts Abweisendes, die ständig anmahnt, dass dort eigentlich etwas gebaut werden müsste.
Was wäre aus Berlin geworden, wenn es eine Mehrheit für Bonn gegeben hätte?

Meine jüngste Tochter sagt immer, „hätte, hätte, Fahrradkette“. Mich interessiert dies nicht mehr. Es ist anders gekommen und es ist gut so gekommen. Ich habe Freude daran gehabt, in dieser historischen Zeit eine Verantwortung mittragen zu dürfen. Darüber kann man sich bis zum Lebensende nur herzlich freuen.

Ob Klaus Töpfer einen Komplettumzug für unausweichlich hält, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Ist ein Komplettumzug unausweichlich?

Wir sollten ehrlich miteinander umgehen. Was wirklich politische Entscheidungsrelevanz hat, muss und wird in Gänze in Berlin sein. Dies ist kein Rutschbahneffekt, sondern eine praktisch-politische Notwendigkeit. Es war aber immer meine Überzeugung, diesen Umzug dafür zu nutzen, eine wirkliche administrative Reform der Bundesministerien durchzuführen. Zu klären ist und bleibt, was in einem Ministerium wirklich politisch entscheidungsrelevant ist oder was einem „Verwaltungsamt“ zugeordnet werden kann. Zu klären gilt es, sachlich zu ermitteln, welche Aufgaben auch an anderen Orten und nicht zwingend in Berlin bearbeitet werden können, ohne dass dadurch zusätzliche Kosten entstehen. Diese sachliche Diskussion ist leider wenig in Gang gekommen und stets durch emotionale Momente überdeckt worden. Es fehlt eine Reform der Verwaltung des Bundes.

Also Modell Verteidigungsministerium: Schauen, was man noch bei einer Verkleinerung der Bundeswehr braucht und dann entscheiden, ob man den Standort Bonn noch benötigt?

Das wäre ein Beispiel. Ein weiteres Beispiel: Die moderne Verwaltung braucht immer weniger Akten und Vorgänge in Papierform. Sie können über den Bildschirm angefordert und bearbeitet werden. Registraturen in der Mitte Berlins, wo die Flächen am teuersten sind, sind dafür nicht erforderlich. Ich habe das damals angesprochen, bin jedoch am massivsten Widerstand der Ministerien gescheitert.

In der damaligen Debatte wurde argumentiert, in Berlin wäre eine Regierung dem Druck der Straße ausgesetzt.

Zu einer offenen Demokratie gehören auch Demonstrationen. Dies war in Bonn so und kennzeichnet jetzt die Berliner Realität. In Berlin bilden sich die gesellschaftlichen Strukturen wohl besser ab als in Bonn - für mich ein weiteres Argument, für Berlin zu stimmen. Vergessen wir nicht die großen Demonstrationen und Proteste in Bonn, etwa auf der Wiese vor dem Hofgarten. Ich erinnere daran, dass wir den Bundestag einmal nur über den Rhein erreichen konnten, weil alle anderen Zugänge blockiert waren.

Was war das Schwerste bei ihrer Umzugsplanung?

Das schwerste war eigentlich, den Umzug in die Köpfe der Mitarbeiter in den Ministerien zu bringen, weil wir sie brauchten für die Aufgabe. Es war sehr, sehr schwer, diese mentale Umzugssperre zu lösen und Vertrauen zu bilden, dass die Grundstückspreise nicht verfallen, das Haus nicht mehr zu verkaufen ist und die Frau beim Umzug ihren Job zurücklassen muss. Deswegen war es fast ein Indikator des Wandels, dass ein Gastronom, der in Bonn in ganz besonderer Weise gegen den Umzug gekämpft hat, urplötzlich in Berlin ein Restaurant aufmachte und riesigen Erfolg hatte.

Was war ihr größter Fehler?

Vielleicht haben wir uns ein bisschen zu wenig Gedanken gemacht, wie sich der Umzug nach Berlin noch stärker hätte auswirken können in den neuen Bundesländern. Hier strahlt Berlin zu wenig aus. Das haben wir vielleicht nicht genügend erkannt und nicht nach Änderungen und Ergänzungen gesucht.

Das Gespräch führte Gerd Nowakowski

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