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Politik: Im Namen des Völkchens

Gibraltar wehrt sich per Referendum gegen spanische Herrschaft

Auch Zwerge können Riesen zuweilen böse Niederlagen bereiten. Ein solches Schauspiel hat am Donnerstag in der britischen Mini-Kolonie Gibraltar an der Südspitze der iberischen Halbinsel seinen Lauf genommen. Bei dem Referendum darüber, ob die Briten sich künftig die Souveränität mit Spanien teilen sollen, wurde erwartet, dass 90 Prozent der rund 21 000 Wahlberechtigten mit Nein stimmen. Bis 22 Uhr waren am Donnerstag die Wahllokale geöffnet, nach der Auszählung haben die Bewohner des Felsens dann vermutlich aufs Neue ihre Affenpopulation und 60 000 Briefkastenfirmen verteidigt – und verhindert, dass in der kleinen Kolonie EU-Recht einzieht.

„Billigen Sie im Grundsatz, dass Großbritannien und Spanien die Souveränität teilen?“, lautete die schlichte Frage an das Volk des Finanzparadieses. Die Antwort prangte schon seit Wochen in fetten Buchstaben an hunderten Hausfassaden dieser reichen Koloniestadt mit britischem Provinzflair: „No“. Und schon vor Monaten wünschte die Bevölkerung in Protestmärschen diesem britisch-spanischen Angriff auf ihre Duty-Free-Kolonie den Tod: „Kill the deal!“, riefen die Menschen, die gut damit leben, dass sie keine Mehrwertsteuer zahlen.

Angeführt wird dieser organisierte Volksaufruhr gegen den „Verrat“ von Gibraltars listigem Regierungschef, Peter Caruana: „Unser Ziel ist, klar zu zeigen, was die Gibraltarer von irgendeiner Art spanischer Souveränität halten.“ Nämlich nichts. Wie übrigens schon vor 35 Jahren, als 99 Prozent der Wähler für den Verbleib im United Kingdom stimmten. Damals herrschte in Spanien freilich noch Diktator Franco, der nach dem klaren „No“ der Kolonie dem kleinen Nachbarn den „kalten Krieg“ erklärte und für Jahre nicht einmal eine Maus über die Grenze ließ.

Heute ist die Lage entspannter. Der Straßen-Grenzübergang zwischen Gibraltar und Spanien ist – zur Freude der Zigarettenschmuggler – wieder geöffnet. Aber Flugzeuge und Schiffe verkehren immer noch nicht. In Madrid regiert seit 27 Jahren die Demokratie, und London verliert zunehmend die Lust an seinem Felsen, auf dem es nicht nur die letzten frei lebenden Affen Europas gibt, sondern vor allem Geldwäsche und Steuerhinterziehung gedeiht. Also begannen der britische Regierungschef Tony Blair und sein spanischer Kollege José Maria Aznar die Zauberformel der „Ko-Souveränität“ zu entwickeln. Seit Monaten ringen die Diplomaten um die Details der Entkolonisierung.

Das erwartete breite „No“ des Volkes dürfte die Entschärfung dieser historischen Altlast nicht leichter machen. Zwar behaupten Madrid wie London, es handele sich nur um „eine virtuelle Abstimmung ohne Bedeutung“, die sie nicht anerkennen werden. Schließlich gebe es ja noch überhaupt keine Abmachung. Doch wahr ist auch, dass ein Statuswechsel in Gibraltar, das von Spanien vor fast 300 Jahren an die Briten abgetreten wurde, ohne die Zustimmung der Bewohner unmöglich ist. Und weil die britischen Herren dies den „Gibraltarenos“ sogar in die Verfassung schrieben, wird der Tanz um den Affenfelsen wohl noch länger dauern.

Ralph Schulze[Madrid]

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