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Politik: Im Netz verheddert

Nicht die Indiskretionen erschüttern Italien, sondern die Quellen: Es sind engste Vertraute Berlusconis. Seine Gegner schöpfen Mut

Noch zehn Tage. Es gibt Zeitungen in Italien, die zählen den Countdown schon so groß mit, als ginge es auf eine Fußball-WM zu: zwölf, elf, zehn … Am Dienstag, dem 14. Dezember, muss sich Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi dem vereinten Misstrauensvotum seiner abtrünnigen Parteifreunde und der Opposition stellen. Aber wie geht es aus? Was folgt danach?

Die Lage ist so unübersichtlich, dass es schon fast als Befreiungsschlag gilt, wenn die Berlusconi-„Verräter“ um Gianfranco Fini herum ankündigen, das Misstrauensvotum nun auch tatsächlich einbringen zu wollen. Lange haben sie gepokert und gezögert, weil sie sich ihrer parlamentarischen Mehrheit nicht sicher waren. Auch jetzt kalkulieren sie nur mit einem denkbar knappen Erfolg, mit 317 gegen 313 Stimmen im Abgeordnetenhaus, und sie haben drei medizinisch heikle Schwangerschaften in ihren Reihen. Wenn da eine Kollegin plötzlich ausfällt …

Es waren die „Enthüllungen“ in Wikileaks, die den zögerlichen Palastrevolutionären Mut gemacht haben. Dabei ist praktisch nichts Spektakuläres aufgetaucht. Dass Berlusconi von „langen Nächten mit wilden Partys“ zu ausgelaugt fürs politische Geschäft sei, wie US-Diplomaten aus Rom nach Washington funkten, das hat nach dem Bekanntwerden so vieler Frauenaffären keinen Italiener mehr überrascht. Dass seine enge Freundschaft mit Wladimir Putin geschäftliche Gründe haben und womöglich – kleines Taschengeld im Erdgasgeschäft – der Selbstbereicherung dienen könnte, das wird schon lange vermutet, aber auch die Amerikaner bleiben den Beweis schuldig. Und dass sich Berlusconi überall von düsteren Komplotten „starker Mächte“ verfolgt sieht, das teilt er jede Woche mindestens dreimal persönlich mit.

Neu aber sind die Quellen, auf die sich Amerikas Diplomaten stützen. Geplaudert nämlich hat nicht ein „dritt- oder viertrangiger Angestellter der Botschaft“, wie Berlusconi anfangs leichthin meinte, sondern zwei Männer aus seiner eigenen, allernächsten Umgebung: der eigentlich für eiserne Loyalität berühmte Staatssekretär im Amt des Regierungschefs, Gianni Letta, sowie der Senator und langjährige Vertraute Berlusconis, Giampiero Cantoni.

Ihre jetzt erst aufgetauchten Namen geben den Indiskretionen gewissermaßen einen amtlichen Stempel. Nun lesen die Italiener aus berufenem Munde, was Berlusconi gar nicht gerne hört: dass der hyperaktive Regierungschef „körperlich und politisch schwach“ sei und „keine Energie mehr“ habe; dass seine Blutwerte „ein totales Desaster“ seien, dass er „schon dreimal umgekippt“ sei und – wie der US-Botschafter aus eigenem Erleben anfügt – bei öffentlichen Terminen ab und zu einnicke.

Natürlich dementieren alle Genannten: Aus ihrem Mund sei nie Schlechtes über Berlusconi gedrungen. Aber die Sache lässt sich nicht mehr aus der Welt schaffen, Und dass gerade der Ruf von Staatssekretär Letta beschädigt ist, das bringt auch Berlusconis Gegner in Schwierigkeiten. Denn der in allen Lagern angesehene Gianni Letta galt bisher durchaus als möglicher Chef einer breiten rechten Übergangsregierung für die Zeit zwischen dem Misstrauensvotum und den Neuwahlen spätestens 2013. Ihm hätte, so das Kalkül bisher, im äußersten Notfall sogar Berlusconi Platz gemacht.

Denn auch Berlusconi, so heftig er das abstreitet, muss sich um seine politische Zukunft sorgen: Selbst wenn er das Misstrauensvotum übersteht, dann kann sein Sieg nur derart knapp ausfallen, dass es zum unfallfreien Weiterregieren nicht reicht. Gianfranco Fini und Zentrums-Chef Pier Ferdinando Casini haben dem Premier einen ehrenvollen Rücktritt nahegelegt; danach sei man zu Verhandlungen über eine neue, tragfähige Koalition bereit.

Ob das Angebot noch steht, das weiß man nicht; das ändert sich mit den taktischen Winkelzügen jeden Tag. Berlusconi jedenfalls will nicht zurücktreten. Das ist bisher die einzige Konstante in dieser Krise.

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