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Politik: Im Osten fehlen "elementare christliche Grundkenntnisse" - Evangelische Kirche sucht neue Wege der Glaubensvermittlung

Der Fall der Mauer liegt zehn Jahre zurück; Zeit zur Besinnung und Erinnerung an einem Ort, der während der friedlichen Revolution im Jahre 1989 eine zentrale Rolle gespielt hat: Leipzig. Hier tagt zurzeit die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Der Fall der Mauer liegt zehn Jahre zurück; Zeit zur Besinnung und Erinnerung an einem Ort, der während der friedlichen Revolution im Jahre 1989 eine zentrale Rolle gespielt hat: Leipzig. Hier tagt zurzeit die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Und natürlich gedenkt auch sie der Ereignisse, die zur Einheit Deutschlands geführt haben. Der Schwerpunkt der diesjährigen Sitzung indessen ist ein anderer: die Mission. "Reden von Gott in der Welt - Der missionarische Auftrag der Kirche an der Schwelle zum 3. Jahrtausend" lautet der Titel des Themas, mit dem sich die 120 Kirchenparlamentarier befassen. Darüber im Osten des Landes nachzudenken, hat seinen guten Grund: Hier fehlen nach wie vor selbst die elementaren Grundkenntnisse über das Christentum, analysiert der Tübinger Theologe Eberhard Jüngel in seinem Eröffnungsreferat. Doch niemand solle sich täuschen, ergänzt er sogleich, auch im Westen habe man es mit einer Gesellschaft zu tun, die ihre christliche Herkunft immer mehr vergisst.

Das ist eine Herausforderung für die Kirche. Die Vermittlung der christlichen Botschaft ist überall ein Problem, in den neuen Ländern aber ungleich schwerer als im Westen. Hier ist die Kirche viel kleiner, sind manche Gemeinden fast menschenleer - und nicht selten ohne Pfarrer. Ebenso wie im Westen ist die Kirche hier nur ein Angebot unter vielen, aber sie muss sich hier mehr noch als im Westen behaupten, wenn sie nicht endgültig zu einer Minderheitenkirche werden will. Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer ist die Bundesrepublik eben auch auf dem Gebiet des Glaubens und der Kirche noch immer ein geteiltes Land.

Dem will die EKD entgegenwirken. Neue Mitglieder sollen gewonnen werden. Zu diesem Zwecke wird die Synode eine Kundgebung verabschieden, deren Entwurf ihr am Montag vorgestellt wurde. Mission, heißt es darin, bedeute, die christliche Botschaft so zu bezeugen, dass sie im besten Sinne des Wortes attraktiv werde. "Weitergabe des Glaubens und Wachstum der Gemeinden sind unsere vordringliche Aufgabe", heißt die Kernbotschaft. Dabei beanspruchen die Autoren keinen Alleinvertretungsanspruch: "Wir werden dem missionarischen Auftrag nur gerecht, wenn wir, bezogen auf die Vielfalt der Adressaten, auch eine Vielfalt der Wege und Konzepte bejahen." Ausdrücklich sollen nicht nur Kirchenvertreter angesprochen werden, sondern auch Laien. Alle sollen zur Mitarbeit ermutigt werden. So nennt der Entwurf neben den herkömmlichen kirchlichen Gebieten wie Bibelwochen, Besuchsdienste, Hauskreisarbeit, Glaubensseminare, Aus- und Fortbildung der Pfarrer an theologischen Fakultäten, Gottesdienste, Unterricht, Jugendarbeit und Kirchenmusik auch die Bereiche Bildung und Wissenschaft, Medien, Kunst und Film, Jugendkultur und politische Kultur - und: das persönliche Gespräch im täglichen Leben.

Da berichtet Eberhard Jüngel auf einmal über eine weitere, bislang unerwähnte Möglichkeit der "Mission" - das Schweigen und Zuhören. Der Hochschullehrer ist derzeit Fellow des Berliner Wissenschaftskollegs. Fellows haben viele Freiheiten, aber auch ein paar Verpflichtungen. Zu den Pflichten gehört das gemeinsame Mittagessen. Dort sitzt Jüngel mit Kollegen anderer Fakultäten an einem Tisch und wird immer wieder auf seine "theologische Existenz" angesprochen und zwar so, dass sein Gegenüber mehr oder wenig deutlich von Dingen erzählt, die einen teils versteckten, teils offenen Bezug zu der Wahrheit habe, die er als Theologe zu vertreten habe, wie er sagt. Hält Jüngel dann Vorträge, doziert er? Keineswegs. Der sprachbegabte Professor hört zu. Und da, erzählt er, frage er sich manchmal, "ob es nicht auch so etwas wie eine Evangelisation durch aufmerksames, konzentriertes Zuhören gibt". Und mancher Synodale fragt sich, ob eine solche Art der "Glaubensvermittlung" nicht gerade im Osten besonders geeignet ist, Menschen zu erreichen. Übersichtsseite zum 10. Jahrestag des Mauerfalls

Beatrice von Weizsäcker

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